Kleine Verständnisprobleme

■ Alles paletti: Das Schlitzohr, So., 20.15, ARD

Zwischen dreißig und sechzig Milliarden gehen der Volkswirtschaft alljährlich durch Wirtschaftsverbrechen verloren. Da dieses Geld dem anonym erscheinenden „Staat“ abhanden kommt, gelten diese Vergehen vielfach als Kavaliersdelikte. Erst wenn man sich vor Augen hält, daß jeder einzelne Bundesbürger dreißig Prozent weniger Steuern zahlen müßte, sofern diese Summen landeten, wo sie von Rechts wegen hingehören, wird klar, wer hier eigentlich von den Betrügern mit weißem Kragen in unvorstellbar großem Stil geschädigt wird.

Angesichts dessen verkommen die kleinen Kapitalverbrechen, mit denen ein Derrick oder ein Schimanski betraut werden, zu Bagatellen. Alles paletti, die neue Serie der ARD mit dem unangemessen schnoddrigen Titel, beschäftigt sich mit Themen aus dem weiten Feld der Wirtschaftskriminalität. Ein heikles Unterfangen, wie schon die erste Folge zeigte nicht jedem Zuschauer sind Fachausdrücke wie „vollstreckbarer Titel“, „ausgeklagte Forderung“ etc. geläufig. Andererseits würden langwierige Erklärungen den Erzählfluß hemmen und dem Geschehen die Spannung nehmen. Die Autoren Norbert Ehry und Friedhelm Werremeier und Regisseur Roland Richter taten recht daran, kleine Verständnisprobleme in Kauf zu nehmen, denn trotz der brisanten und auch interessanten Problematik soll die Krimi-Spannung ja erhalten bleiben.

Die war tatsächlich gewährleistet in dieser Geschichte über einen Bankrotteur, der von Geldeintreibern mit unsauberen Methoden bedrängt wird und sich an seinen Freund Stoll, den Betreiber einer Fachdetektei für Wirtschaftssachen, wendet. Um diese Agentur mit dem Namen „Prokura“ drehen sich die Fälle dieser Serie, und wenn aus der ersten auf die weiteren sieben Folgen geschlossen werden darf, so handelt es sich dabei um sorgfältig recherchierte und gekonnt inszenierte Sendungen, die qualitativ in einer Reihe stehen mit Schwarzrotgold und Liebling Kreuzberg.

Neben der guten, vor allem nicht allzu prominenten Besetzung machte insbesondere Regisseur Roland Suso Richter auf sich aufmerksam. Mit einer detailfreudigen, gerade in den kleinen Dingen, Gesten und Augenwinken akkuraten und sehr einfallsreichen, aber nie verspielten Bildführung hebt er sich merklich ab vom routinierten Runtergekurbele zahlreicher durch Fließbandarbeit verschlissener Kollegen.

Vier weitere, von ihm inszenierte Episoden werden folgen; auf die noch folgenden Arbeiten seiner Kollegen Nico Hoffmann und Lienhard Wawrzyn und des neben Norbert Ehry und Friedhelm Werremeier als Autor zuliefernden Fred Breinersdorfer darf man gespannt sein. Mit der Folge „Die Novia-Affäre“ wird Alles paletti am 22. Juli fortgesetzt.

Harald Keller