Johlende Kulisse für Faschisten

■ betr.: "Editorial" von Axel Kintzinger, taz vom 10.07.90

betr.: „Editorial“ von Axel Kintzinger, taz vom 10.7.90

Axel Kintzinger entschärft die berechtigte Kritik an den Feiern zur WM, indem er sie in rhetorische Fragen umformuliert. Doch dadurch sind seine Betrachtungen nicht differenziert, sondern eher peinlich. Über diesen kleinen stilistischen Trick scheint er zu vergessen, daß Freude niemals Freude an sich ist. Sie hat immer einen Gegenstand.

Und im Fall der deutschen Fußballfans, die nach dem gewonnenen WM-Spiel gemeinsam auf der Straße feierten, ist es die Freude über den deutschen Sieg. Deshalb die „Sieg„ -Rufe im Stadion von Rom, deshalb das Meer der deutschen Fahnen auf öffentlichen Plätzen, sei es in Berlin oder Bielefeld. Selbst wenn keine Neonazis dabei mitmischen würden, selbst wenn die Massen keine Neuauflage von Auschwitz vorbereiten, so ist die Quelle dieser Freude doch nichts anderes als chauvinistische Nationaltümmelei. (...)

Matthias Barkhausen, Bielefeld 1/BRD

„Was zum Teufel“, fragt dieser Herr, „ist daran schlecht?“ Die Italiener feiern, die Brasilianer, die Iren sogar(!), also dürfen die Deutschen ja wohl auch feiern. Und dabei vergißt er keinesfalls den beinahe schon klassischen Seitenhieb des linken Spießers auf „die Intellektuellen“, die peinlich berührt sind, wenn andere feiern.

(...) Nur, selbst wenn es so wäre: Dadurch, daß es in anderen Ländern auch Nationalismus gibt, wird der deutsche nicht harmloser. Dadurch, daß es „zwar widerlich ist, aber keinesfalls neu“, wird es höchstens zur Gewohnheit. Tatsache ist, daß nach dem Fußballspiel tausende von Faschisten in einer Menge von Hunderttausenden von Menschen schwammen wie der Fisch im Waser. Die Reichskriegsflaggen und die Hitlergrüße haben einfach niemanden gestört, obwohl sie sicher jeder wahrgenommen hat. Aber so war es immer. Wenige schlagen zu, viele applaudieren und noch mehr sehen nicht hin.

(...) Ich war jedenfalls angesichts dieser Deutschland -Nacht keinesfalls „peinlich berührt“. Nein, ich fand es eher zum Kotzen. Mir war peinlich, daß ich als Deutscher geboren bin, angesichts dieser geballten AusländerInnenfeindlichkeit, angesichts dieses bierseligen Männlichkeitswahns. Ich habe mich gefragt: Kämen die alle auch, um für Deutschland wieder feiernd in irgendeine Schlacht zu ziehen? Und die Antwort, die ich mir selbst gegeben habe, läßt mir das Mark in den Knochen gefrieren.

Peter Birke, Frankfurt am Main/BRD

(...) An diesem ach so fröhlichen Finalabend ist für mich eines wieder erschreckend deutlich geworden: es gibt wohl kaum ein zweites Volk auf dieser Welt, daß derartig unkultiviert und phantasielos feiert wie die Deutschen, und ich beziehe mich hierbei nur auf die „friedlicheren“ Ereignisse abseits der Fascho- und Suffki-Randale, die natürlich wieder mal nicht fehlen durfte.

Bei denen, die ich beobachten konnte, äußerte sich die „Fröhlichkeit“ im primitiven Nachäffen italienischer Sitten (Auto-Rallye mit Hup-Stakkato), im Abpumpen von Bölkstoff oder anderen Alkoholika, in „Deutschland-Deutschland„ -Geplärre und im Gröhlen der üblichen, an Dumpfheit und Einfältigkeit nicht mehr zu überbietenden deutschen Fanliedgutes.

Wie viel bunter und fröhlicher es dagegen schon in unseren Nachbarländern zugeht, konnte ich vor zwei Jahren in den Niederlanden nach dem Europameisterschaftsfinale erleben. Auf den Straßen herrschte wirkliche Ausgelassenheit, die Menschen tanzten in poppigen, knallrotorangen Kostümen, und selbst ihr nationales Triumpfgefühl, das sie mir und meinen Freunden gegenüber äußerten, sobald sie merkten, daß wir Deutsche waren, wirkte eher kindlich-freudig als bedrohlich. (...)

Gäbe es eine Weltmeisterschaft der Fankultur, dann würden die Deutschen noch nicht einmal die Qualifikation überstehen, und Länder wie zum Beispiel Brasilien oder Kamerun wären für sie unerreichbar!

Jörg Steinau, Wuppertal/BRD

(...) Endlich hat jemand angesprochen, was ich die ganze Zeit denke. Was da auf den Straßen abgegangen ist, war keineswegs ein neuer Nationalismus. Die Menschen waren keineswegs alle Nazis. Es war ganz einfach Freude. Ist es denn verboten, wenn man seine Freude rausläßt? Auch wenn das kolletiv geschieht? Muß ich mich deswegen schämen, weil ich mitgejubelt habe? Ich glaube nicht.

Thomas Mütze

(...) Wenn sich da angeblich das Volk den öffentlichen Raum aneignet, um sich dort statt vor der Glotze zu freuen, schau‘ ich als bürgerlicher Intellektueller weniger miesepetrig als etwas besorgt schon etwas genauer hin.

Da seh ich zunächst einmal die Hinterlassenschaft: Wenn Menschenmengen sich freuen und das Ergebnis unter anderem tonnenweise Müll ist, der zum allergrößten Teil aus Glasscherben besteht, manifestiert sich die aggressive Komponente dieser sogenannten Freude schon sehr deutlich. Und wie soll ich es,

-wenn die einen sogenannten Feiernden das let's go Deutschland der anderen mit ole-ole-ole-Gegröle beantworten,

-wenn auf einer Hauptverkehrsstraße im Schwabinger Westen bis nachts um drei ständig Wagenkonvois rauf und runter brettern, die sich um mehrere Zugmaschinen von Sattelschleppern gruppieren und deren Insassen neben Brüllen, Hupen und Fahnenschwenken nichts anderes zu tun haben, als Schnapsflaschen zwischen den fahrenden Wagen hin und her zu reichen,

-wenn Leute im Suff auf städtischen Bussen rumtrampeln,

anders verstehen, als daß eine Menge von Menschen hier mit ihrem deformierten Ich wedelt (anders ist derartiges Schwenken von Bundesfahnen nicht zu interpretieren) und sich überwiegend sprachloses männliches Geltungsbedürfnis austobt. Nun wird man nicht als psychischer Krüppel geboren, sondern als solcher gebraucht, was die entsprechende Langmut der für die öffentliche Sicherheit Verantwortlichen erklärt.

Man stelle sich vor, was passiert wäre, wenn die Bürgerinitiative „Das bessere Müllkonzept“ so öffentlich „gefeiert“ hätte.

Fritz John, München/BRD

(...) Nein Axel, Dein Vergleich, mit dem Du Dir einen Orden der Bundeswehr, aber keine zweite Seite einer sich selbst noch links-alternativ nennenden taz (haha!) verdient hast; Dein Vergleich des deutschen mit den holländischen, argentinischen, irischen Nationalismen, mit dem Du Dich zum Apologeten des (groß)deutschen Chauvinismus machst; Dein Vergleich hinkt an zwei Weltkriegskrücken in die nächste Runde: Berlin, Olympia 2000 und 2036!

Du vergißt, daß keiner der genannten Nationalismen jemals so aggressiv und expansiv war wie der deutsche - daß dies noch lange nicht „Geschichte“ ist, beweist die erste Strophe unseres Liedes, das all die Massen auf dem Alex (und anderswo) mitplärrten, denen Du mit Begriffen wie Freude, Kollektivität und Plebiszit hofierst.

Daß Du Hofnarr der besoffenen Volksseele selbst das Stichwort Auschwitz aufwirfst, ist in diesem Zusammenhang doch ein etwas zynischer Humor, für den ich mich sowie für die Schläge, die ich von Dir schriftlich und von mehreren Volksgenossen (keine Faschos - nur freudige Bürger! ohne Ironie!) in anderer Form erhielt, recht herzlich bedanken möchte.

A.Roth, Berlin (Ost)

Mit etwas Überwindung kann ich ja noch nachvollziehen, daß sich der Autor vom triumphierenden Sieg-Gebrüll auf der Straße dazu hinreißen läßt, die angeblich kollektive „Freude“ als harmlose (und für das hiesige Stadtbild sogar heilsame) Volks-Party darzustellen. Eine Party, die natürlich nichts zu tun hat mit irgendwelchen faschistisch gestimmten „Rand„-Gruppen. Ob es denn nicht schön ist, daß die Menschen ihre Straßen zurückerobern um Feste zu feiern, fragt Herr Kintzinger arglos und macht einen kleinen Schlenker zur Geschichte der Linken und der AtomkraftgegnerInnen: Die haben nämlich nicht geschafft, was eine Masse Fußballfans jetzt zuwege bringt. Und Fußballfans

-so klärt uns K. noch auf - lassen den Faschisten schon „faktisch“ keinen Fußbreit. „Faktisch“! Ein schönes Wort: kommt von Fakten und suggeriert Tatsachen. Wo Kintzinger diese Fakten hernimmt, verrät er nicht, dafür aber, wo seine Ansichten herkommen: „Darf man sich so offen zu Deutschland bekennen, dessen Namen doch nicht ausgesprochen werden darf (!) ohne an Auschwitz zu denken?“ Ich weiß nicht, mit welchen Zwangsvorstellungen sich Herr Kintzinger sonst noch rumplagt, zumal er vermutlich sowieso schon zur begnadeten Generation gehört. Daß er jedoch Erinnerungen an Auschwitz derart zynisch kommentiert, ist schockierend und für viele ein Schlag ins Gesicht! (...)

Simone Höpting

„Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste (...). Barbarei besteht fort, solange die Bedingungen, die jenen Rückfall zeitigten, fortdauern“, schrieb der Philosoph Adorno vor vielen Jahren.

Dem taz-Autor scheinen solche Überlegungen vollkommen fremd zu sein. Nachdem im Zuge des Weltmeisterschaftstaumels Skins und andere in Ost-Berlin AusländerInnen jagten und verprügelten, nachdem mit nationalsozialistischen Symbolen und Gebärden der „Sieg“ gefeiert wurde, nachdem viele unter der handgreiflichen „Wachsamkeit“ gegen Andersaussehende leiden mußten, behauptet er unbedarft die Normalität des deutschen Nationalismus: was in anderen Ländern recht sei, könne doch in Deutschland nicht schlecht sein. Er ignoriert damit, daß deutscher Nationalsozialismus, deutsche Überfälle, deutsche Kriegserklärungen, deutsches Hegemonialstreben, deutsche Massenvernichtung in deutschen KZs wahrlich auch in alle Zukunft gute Gründe sind, antinationale, antideutsche und vaterlandsverräterische Gesinnung und Politik zu betreiben. Und dies keineswegs aus einer masochistischen Selbstverleugnung der eigenen Identität heraus, sondern aus einem Selbstbewußtsein, das keine nationale Korsettstange nötig hat. (...)

Bleibt nur, dem mitjubelnden Axel Kintzinger und all den anderen, die ihre über Jahre angestauten (nationalen) Minderwertigkeitsgefühle durch das Einstimmen in den nationalen Größenwahn zu kompensieren beginnen, ein weiteres Adorno-Zitat entgegenzurufen: „Die einzige wahre Kraft gegen das Prinzip von Auschwitz wäre Autonomie; (...) die Kraft zur Reflektion, zur Selbst-Behauptung, zum Nicht -Mitmachen.“

Thomas Kralovsky, Berlin (West)

(...) Daß sich die Neonazis eben nicht am Rand halten, wie der Leitartikler behauptet, sondern versuchen, rechtsextremes Potential unter dem Fußball-Volk zu mobilisieren, hat sich in Bielefeld - und nicht nur da deutlich gezeigt. Die Deutschland-seligen Massen wecken bei mir ganz und gar nicht freudige Erinnerungen an südeuropäisches Lebensgefühl, sondern ihre Anfälligkeit für vermeintlich einfache Lösungen (Mottos wie „Ausländer raus“) macht mir Angst. Der Fußballrausch als plebiszitärer Akt in einem Staat, der per Verfassung das Recht auf Volksentscheid verweigert, ist doch regelrecht lächerlich! (...)

Uwe Scheele, Bielefeld/BRD

(...) Mensch stelle sich das vor: Da findet ein massenhysterisches „Doitschland„-Gejohle statt, da wird etwas abgefeiert, womit mensch nur verbindet: 1933, aggressiver Imperialismus, Mord an politischen Gefangenen und so weiter, und diesem Kintzinger fällt nichts besseres ein, als das, was da nach dem Endspiel abging, als öffentliche Feierei lobzuhudeln.

Und, Axel Kintzinger, wenn Du schon einen Vergleich zur „irischen Masseneuphorie“ bemühst: Diese hat wenigensts noch keinen Weltkrieg angezettelt. Und dann mußt Du dem allem auch noch die Krone aufsetzen: „Da war kein Fußbreit übrig für die Faschisten.“ Nichts hast Du gerafft: Das war der Faschismus, wie er sich so unverhohlen schon lange nicht mehr gezeigt hat. Wo bei anderen Gelegenheiten polizeiknüppelschwingend deutlich gemacht wird, wer Herr der Straße ist - an diesem Abend ist es auch so deutlich geworden. (...)

Leuten, die in derart dumm-gefährlicher Verkennung Lobeshymnen abfeiern auf Prozesse, die hier abgehen in diesem Staat, der nicht unserer ist, gehört die Plattform einer Zeitung entzogen, die noch einen gewissen Anspruch hat. (...)

Arno Bühler, Thomas Döveling, Detlev Piepke, Christiane Monkenbusch, Münster/BRD

Das „Editorial“ ist symptomatisch für den Umgang mit der Fußballweltmeisterschaft in vielen Medien, und von dem sich die taz bisher ausnahm.

Da findet ein Fernsehreporter in einem Spiel der Kameruner lax den Vergleich „zehn kleine Negerlein, da waren's nur noch neun“, traut den „Afrikanern“ das Fußballspielen eh kaum zu und schickt diese Botschaft unbekümmert über den Äther in die Wohnzimmer von Millionen. 'Bild‘ bietet zur Belebung des eigenen Selbst seit Wochen die Identifikation mit „unseren Jungs“ an und führt in Schlagzeilen und Artikeln sorglos Stellvertreterkriege. Derartiges Gebaren löst natürlich keine öffentlichen Kontroverse aus, im Gegenteil, indem es unwidersprochen bleibt, legitimiert es geradezu nationalistisches und rassistisches Gedankengut. Kommt es dann allerdings zu „unerklärlichen, bedauerlichen Übergriffen“ auf Minderheiten, ist die Öffentlichkeit wieder hell empört und ratlos.

Nun zu dem „Editorial“, das diese „Unbedarftheit“ in bester Tradition fortführt. Die Bezeichnung Leute und Massen, lieber Autor, bleibt übrigens ungenau; das „Jungs“ der Konkurrenz trifft es da schon eher, handelt es sich doch um eine hochprozentige Konzentration der männlichen Spezies, die diesem Spektakel anheimfällt - das nur zur Ergänzung. Im Fußballstadion und vor dem Fernseher scheint Raum gegeben für Emotionalität, die im grauen, ereignislosen Alltag nur bedingt vorkommt. Beim Fußball ist offene Parteilichkeit gefragt und gefordert, da kann hemmungslos gebrüllt und unsanktioniert gepöbelt werden, ob mann nun so nebenbei einen Schiedsrichter „ins Gas“ wünscht, sei's drum! Alles Randerscheinungen. Ist zwar widerlich, aber keinesfalls neu. Was lerne ich aus diesem flotten Zusatz?

Der Schlachtruf „Sieg“, aus tausenden deutscher Kehlen lustvoll zur Stimulanz ihrer Helden gebrüllt, ist bei den Herren der Tribüne offenbar ungetrübt von jeder historischen Bedeutung. Ob sie etwa unempfindlich sind, „diese Jungs“? Oder ist es neuerdings wieder opportun, den Holocaust einfach zu vergessen - gerade im Zuge der Deutschtümelei, nun da „wir“ endlich wieder wer sind -, und dieses Vergessen als taz-Redakteur nicht weiter problematisch zu finden?

Seltsam besetzt sind auch die Begriffe Freude und Begegnung im „Editorial“: Da wird mittels Alkoholkonsum endlich alle Hemmung weggesoffen und halb besinnungslos öffentlicher Raum wiedererobert. Was für eine Wiederaneignung soll das sein, die sich zwischen Rausch und Randale vollzieht und am kommenden Morgen günstigstenfalls mit einem Kater endet. Gröhlende alkoholisierte Männerhorden sind wahrlich keine Bereicherung unserer zubetonierten Metropolen, erst recht keine Utopie. Daß die Herren im Zuge ihrer Raserei nicht nur sich selbst verletzen und töten, sondern auch Fremde gefährden und verletzen, irritiert den Autor bei seiner fröhlichen Bewertung im geringsten. Auch das firmiert vermutlich unter dem Begriff Randerscheinung, genau wie die aggressive und gewalttätige Stimmung, die sich manifest in Attacken gegen AusländerInnen und Minderheiten ausdrückt, was kein neues Phänomen ist und mit aufgepuschten Mengen natürlich überhaupt nichts zu tun hat.

Gunnar, Berlin-West