Leben zwischen Zündern, Kanonen und Gewehren

■ Vor 40 Jahren, am 15. Juli 1950, wurde Heckler & Koch ins Handelsregister zu Oberndorf eingetragen / Rüstungskonversion ist kaum ein Thema

Aus Oberndorf Erwin Single

Wen es als Besucher in das schwäbische Kleinstädtchen Oberndorf am Rande des Schwarzwaldes verschlägt, der kann dort ein „gesundes Reizklima“ genießen. Das verspricht zumindest der städtische Hochglanzprospekt seinen luftkurenden Gästen. Doch Oberndorf birgt weit gefährlichere Reizobjekte als nur die klare Schwarzwaldluft, die gelegentlich für böses Blut in der sonst so verschlafen wirkenden Ortschaft sorgen und die Gemüter weit darüber hinaus erregen: Zünder, Kanonen und Gewehre aus dem Stammsitz der Waffenhersteller Heckler & Koch (H & K) und Mauser. Dort, am Oberlauf des Neckars, liegt eines der weniger bekannten Zentren bundesdeutscher Rüstungsproduktion.

„Die Atmosphäre hier ist hoch sensibel“, schildert der evangelische Pfarrer Peter Rauscher, „schließlich will sich niemand als Militarist abstempeln lassen.“ Sie fühlten sich bei jeder Gelegenheit angegriffen. Dabei lebt Oberndorf von seiner Rüstungsindustrie: Rund die Hälfte aller dort ansässigen Erwerbstätigen arbeitet in einer der beiden Betriebe, die ihr Geld zum Großteil mit militärischer Fertigung machen. Der geschätzte jährliche Rüstungsumsatz liegt bei Mauser bei rund 140 Millionen DM, bei H & K um 150 Millionen DM.

In der schon legendären Schußwaffenfabrik Mauser, heute ein zur Diehl-Gruppe zählendes modernes Technologieunternehmen, werden Bordkanonen für Kampfflugzeuge wie den Tornado und für Flugabwehrpanzer hergestellt; dort arbeitet die Hälfte der knapp 1.400 Beschäftigten. Bei H & K, auf das Produzieren von soliden Gewehren und Handfeuerwaffen spezialisiert, erreicht der Rüstungsanteil mit etwa 1.500 Beschäftigten sogar 90 Prozent.

In der strukturschwachen Region um Oberndorf ist es nicht viel besser: Jeder dritte Arbeitsplatz ist von der Rüstungsforschung und -entwicklung sowie der Produktion militärischer Produkte abhängig. In der nur wenige Kilometer entfernten Fünftälerstadt Schramberg ist die traditionsreiche Uhrenfirma Junghans ansässig; in der Feinwerktechik-Firma werden längst nicht mehr nur Uhren, sondern hauptsächlich mechanische und elektronische Zünder fabriziert.

Daß in Oberndorf nur wenige einen Ausstieg aus dieser Monostruktur der Rüstungsproduktion für möglich halten, hat mehr mit der Angst um die Arbeitsplätze als mit besserer Einsicht zu tun. Auf die Vorwürfe, die Waffen würden zwar hier die Menschen nähren, aber in anderen Ländern töten, hört man immer dieselben Rechtfertigungen: Wenn nicht hier, würden die Waffen woanders hergestellt; schließlich leiste man einen Beitrag zur Verteidigung; ansonsten will man von der ganzen Problematik am liebsten nichts wissen.

Kritiker werden oft schnell als „Nestbeschmutzer“ diffamiert. Eine bittere Erfahrung, die auch Grüne und Friedensbewegte in Oberndorf immer wieder machen müssen. Ein bescheidenes Häuflein besorgter EinwohnerInnen strömte vergangene Woche ins evangelische Gemeindehaus, wo auf Einladung des Rüstungsinformationsbüro (Rio) der Grünen anläßlich des 40jährigen Bestehens von Heckler & Koch über Rüstungskonversion diskutiert werden sollte. „Die Waffenproduktion in Oberndorf hat Tradition - damit wird alles zugedeckt“, findet Gabriele Müller von der dortigen Friedensinitiative eine schlüssige Erklärung für die weitgehende Ignoranz der Bevölkerung. Daß viele auf die Tradition der Waffenfabrikation und die Qualität der Präzisionsprodukte stolz sind, läßt sich schlecht wegleugnen. Seit Beginn des letzten Jahrhunderts werden im Oberndorfer Neckartal Waffen hergestellt. Aus der einst königlich-württembergischen Gewehrfabrik Mauser mauserte sich die Nachkriegsgründung H & K heraus, von ehemaligen Mauser-Ingenieuren gegründet.

Bei so viel Tradition ist es selbstverständlich, daß die Oberndorfer Waffenschmieden auch die Geschicke des Gemeinwesens zu lenken wußten. Die Stadt sieht keinerlei Notwendigkeit, Initiativen zu entwickeln, die zur Umstellung der Rüstungsproduktion und damit zur Beseitigung der ökonomisch wie beschäftigungspolitisch gefährlichen Monostruktur beitragen. Verschiedene Versuche, Konversionsarbeitskreise auf die Beine zu stellen, brachen in sich zusammen. Selbst eine Initiative aus der Stuttgarter IG-Metall-Bezirksleitung, den Denkprozeß über alternative Produktion anzustoßen, blieb ohne Resonanz. Auch ein Vorstoß des DGB scheiterte kläglich. Die Betriebsräte von H & K blieben fern; nach hochgesteckten Zielen schliefen die Aktivitäten wieder ein.

Dabei dürfte allen Beteiligten in Oberndorf klar sein, daß die Aussichten für die Rüstungsproduktion in den kommenden Jahren nicht gerade rosig aussehen. Wenn militärischen Großprojekte wie beispielsweise das H & K-„Wundergewehr“ G11 im Zeichen der Abrüstung platzen, sind nicht nur Arbeitsplätze, sondern der Bestand der ganzen Region massiv gefährdet.

H & K steht finanziell ohnehin nicht gut da: Nach Schufa -Auskunft hat das Unternehmen seit längerem Liquiditätsprobleme, und im letzten Herbst kursierten Übernahme-Gerüchte des Familienunternehmens durch den Diehl -Konzern. Und bei Mauser drohen Entlassungen - für den Fall, daß der „Jäger 90“ endgültig abstürzt. Allerhöchste Zeit, alternative Entwicklungsperspektiven zu diskutieren, meint die abendliche Podiumsrunde im Gemeindehaus und fordert einen strukturpolitischen „Runden Tisch“.

Die Voraussetzungen für die Entwicklung ziviler Produkte sind dabei gar nicht schlecht. Die High-Tech-Produktion im wehrtechnischen Bereich ist für Konversion weit mehr geeignet als der Kriegsschiffbau der Werftenindustrie. Hinzu kommt ein hohes Qualifikationsniveau. „Warum soll ein Werkzeugmacher, der bisher Gußformen für Gewehre gebaut hat, nicht welche für Spielzeug herstellen können?“, fragt sich Konrad Ott, IG-Metall-Sekretär aus Ludwigsburg. Ott wurde von H & K vor Jahren gekündigt, weil er die Rüstungsexporte der Firma als „skrupellose Waffengeschäfte aus Profitgier“ bezeichnet hatte. Und die Firmen selbst liefern anschauliche Beispiele dafür, wie man mit ziviler Produktion Gewinne einfahren und Arbeitsplätze sichern kann.

Bei Mauser setzt das Management in Zeiten unsicherer Rüstungsaufträge auf den Markt ziviler Güter: Mit „Tradition und Innovation“ wirbt es für Montagelinien und Transferstraßen, Werkzeugmaschinen, Meßgeräte, Bearbeitungszentren und flexible Fertigungssystemen. Auch bei H & K wird im Maschinenbau-Zweigwerk HeKoMa in Waldmössingen, in dem etwa Werkzeugmaschinen, Industrieanlagen und Automationstechnik produziert werden, auf eine verstärkte Diversifikation der Produktpalette gesetzt. Das H & K-Stammwerk, das in den 50er Jahren einmal mit dem Bau von Näh- und Werkzeugmaschinen begonnen hatte, konnte Anfang der 80er Jahre eine Krise teilweise mit der Hereinnahme von Zulieferaufträgen für die Automobilindustrie auffangen.

Doch solange sich mit Wehrtechnik weit schwärzere Zahlen als mit anderen Produkten schreiben lassen, scheint ein Ausstieg unmöglich. Und es dürfte schwierig sein, die MitarbeiterInnen der Waffenschmieden zum Umdenken zu bewegen. Pfarrer Rauscher, der seine Schäflein kennt, will zwar da und dort zaghaftes Verständnis erkannt haben, fügt aber gleich hinzu: „Vielleicht ist das aber nur ein Wunschtraum.“