Nanon oder Über die Selbsterziehung

■ Im Bremer manholt-verlag ist George Sands letzter Roman „Nanon“ erstmalig auf deutsch erschienen

Nanon gelesen zu haben ist, als wäre man für kurze Zeit sanft gereinigt von Dreck und Staub all unserer aufgeregten Eitelkeiten und spektakulären Verzettelungen. Als gäbe es eine Sprache des Herzens, die einfach wäre. Es ist eine Sprache, die läuft wie eine Wanderin mit regelmäßigen, kraftvollen Schritten und nimmt uns leichthin mit über Berg und Tal; eine Sprache, die sich wie die junge Nanon von ihrem Weg führen läßt, an dessen Gabelungen sie sich leichten Herzens entscheidet. Wenn sie Pausen macht, dann um sich stärken, mit Roggenbrot und vielleicht einem Stückchen Butter vom Markt. “... der Hügel ... stieg sehr hoch in den Himmel hinauf, ohne daß man sagen könnte, er ward Berg oder Wald. Und am Horizont ... war es immerzu das gleiche, immer eine Wildnis von schönem, weitem Grün, von riesigen Bäumen, frischem Gras, rosenfarbenem Heidekraut, purpurnem Fingerhut, hierhin bitte das ovale Frauen

portrait

blühendem Ginster, Buchen im Hintergrund, in der Höhe Kastanien, ein Horizont, der vor lauter Grün ganz blau war und schwarz vom vielen Blau.“

Eine archaisch schweigsame Welt tut sich auf in George Sands Roman Nanon hinter den sieben Bergen im vorrevolutionären Frankreich, die hat zunächst wenige karge Wörter. Die Sätze wir

ken klein und alt wie die Kirche im Dorf Valcreux, das den Mönchen vom Kloster gehört. Nichts scheint zu geschehen, so daß man am Anfang geneigt ist, Nanon im Regal gut sichtbar auf sich beruhen zu lassen. Wenn da nicht Nanon wäre: „Es sah so aus, als taugte ich zu etwas, denn ich konnte fegen, das Haus in Ordnung bringen und Kastanien kochen; aber ich tat diese Dinge, ohne ihrer gewahr zu sein und ohne zu wissen, wer sie mir beigebracht hatte.„

Im Lichtjahre fernen Paris wetterleuchtet die Revolution und verunsichert die Bauern auf dem Lande. Währenddessen ist Fürsorge für ihr Schaf Nanons Lebenszweck: “... mein Schaf gefiel mir so sehr, daß ich glaubte, das schönste Tier auf Erden vor mir zu haben. Ich mochte sein Gesicht vom ersten Augenblick an. Mir schien, es blickte mich voller Freundschaft an, und als es zu mir kam, um aus meiner kleinen Hand

Blätter und Gemüseabfälle zu fressen, die ich aufgehoben hatte, mußte ich mich zusammennehmen, um nicht vor Freude aufzuschreien.“ Aber die Revolution frißt sich durch bis zu ihren Landkindern und erschüttert Schafe, Ruhe, alle und alles. Trennt Nanon und ihren Jugendfreund Emilien, die beiden Unschuldigen, bringt sie in Lebensgefahr, läßt sie eine Art Robinsonade fernab der Zivilisation in den Bergen führen. Eine Idylle, die hart erkämpft ist von Nanon. Eine Heldin wider Willen, die sich selbst „erschafft“ und bildet mit einem tiefen Wissen um ihre Authentizität und Aufrichtigkeit. Nanon statt Danton - ist es nicht ungeheuerlich? Ist die Revolution nicht eine Männer-Domäne?

Nanon ist der letzte Roman der George Sand, 1804 geborene Amantine-Aurore-Lucile Dupin, v.a. als Geliebte Chopins im Gedächtnis geblieben statt durch ihr bedeutendes literarisches Werk;

eine Frau, die praktische Männerkleidung trug, weil sie sich frei bewegen wollte und ein männliches Pseudonym wählte, weil sie wußte, daß eine weibliche Autorin nichts galt. Die große französische Schriftstellerin hat mit Nanon vielleicht die gelassene Radikalität des Alters erreicht, wo sie es wagt, die Revolution aus der Perspektive des Bauernmädchens hierhin bitte die Buch

vorderseite „Nanon“

Nanon zu beschreiben, wo sie die Gewalt und das Scheitern der Pariser Commune 1871 von ihrem Ruhesitz aus, dem Schlößchen Nohant, verurteilen kann. Nanon - das ist eine Art Lichtgestalt der 66-jährigen, die Verkörperung einer Sehnsucht: durch nichts zu zerstörende Liebe zwischen Mann und Frau innerhalb einer friedlichen Gesellschaft und im Gleichklang mit der Natur. „Die Menschheit war gut, und ich war zufrieden mit mir“, schrieb Zola, als er Nanon gelesen hatte. Claudia Kohlhas

Nanon, manholt-Verlag, Übersetzung von Heidrun Hemje -Oltmanns, DM 39.80