Vom Tauschverkehr

■ Europa rückt zusammen - vom Kulturaustausch zur Zusammenarbeit . Eine Podiumsdiskussion im Künstlerhaus Bethanien

Tatsächlich wird das Thema niemanden überraschen, sagte jemand am Anfang, denn die Veränderungen in KSZE-Europa seien gravierend. Dennoch, so der Moderator, sei er gehemmt; vom Thema „Austausch und Zusammenarbeit in Europa“ und „europäischer Identität“ habe er nämlich eigentlich „keine Ahnung“. Frau Martiny hatte also von jetzt an, unverdient könnte man fast sagen, leichtes Spiel: Ich kann mich nicht darauf beschränken zu sagen, ich habe keine Ahnung. Denn: Ich habe natürlich auch einige Ahnung. Von der Identität.

Und weil so ziemlich jeder der Gäste aus den Bereichen Kulturbetrieb, Kunsterziehung, -schaffung und Theater sich eher erschreckt zeigte von einem Begriff wie „europäische Identität“, durften sie die nächsten zwei Stunden lang Bedenken tragen. Die Senatorin machte die nötigen strategischen Vorgaben. „Welchen Stellenwert soll also Osteuropa im Kulturaustausch, der von Berlin, West-Berlin, aus organisiert wird, spielen?“ Auf die Menschen muß gesetzt werden, nicht auf den Austausch fertiger Inszenierungen. Niemand wendete ein, daß dies ganz einfach in großem Widerspruch zur Praxis der Kuturreferate steht. Aber ohnehin sei man nicht soweit, denn „es gibt soviel zu tun mit dem, was uns die DDR an Aufgaben auferlegt, daß wir zu konzeptuelleren Dingen, was den kulturellen Austausch angeht, bis auf weiteres nicht intensiv gekommen sind. Wir können nicht sagen, daß wir mit großer Intensität derzeit die Kraft haben, uns in dieser Scharnierfunktion, die Berlin hat in Richtung auf die osteuropäischen Länder, zu definieren.“ Aber nächstes Jahr immerhin fährt das Philharmonische Orchester nach Warschau.

Letzteres allerdings, so konnte man später von Anton Regenberg, „Goethe-Mann“ vom Goethe-Institut, erfahren, sei gute alte Praxis deutscher Kulturarbeit. In der Not der Nachkriegszeit, wo „allein die deutsche Sprache für viele ein nicht auszuhaltendes Geräusch war, da haben wir Musik gemacht, um überhaupt wieder den Boden zu bereiten“ für deutsche Kultur. Gleichzeitig müsse man natürlich unseren „eurozentrischen Blickpunkt sehr stark relativieren“.

Im Grunde war man sich einig, auch wenn dies der Absicht und der Arbeit der Veranstalter widersprechen mochte: Als Herr Roloff-Momin, Präsident der HdK, bemerkte, es gelte statt einer Identität gerade die Identitäten der einzelnen Nationalstaaten und deren Selbstbewußtsein zu stärken, überhaupt müsse man sich gegen die Vereinnahmung durch ein ökonomisches Europa schützen, das ökonomische Europa, wo alles „kompatibel gemacht“ wird - da gibt es Konsensnicken. Die Kultur stopft eben das Loch, das die Politik hinterläßt, und so können derartige Veranstaltungen in Ruhe ihre Selbstkritik mitliefern.

Die besorgte überlegen Andrzej Wirth, Leiter des Theaterwissenschaftlichen Instituts Gießen. Diskutieren nämlich, das heiße glauben, daß man über alles sprechen kann, und dies sei nun wirklich spezifisch europäisch. Und zum Begriff des Tausches: Alles, was etwas taugt auf dem multikulturellen Sektor (Krotowski, Wilson zum Beispiel), lasse sich sowieso in den Kategorien von Austausch und Zusammenarbeit gar nicht beschreiben. Und viele gebe es, die hätten auch gar nichts zu tauschen, um in der ökonomischen Metapher zu bleiben. Was, so konnte man sich fragen, verhüllt also die Rede vom Tausch? Frau Martinys Programm, es solle auswärtiges Theater nicht „nur zum Angucken“ geben, also auch zum Anfassen, konterte Wirth mit der Frage, was sie denn anderes wolle als „nur angucken“. Das Theater sei nämlich kein Beischlaf und keine Bratwurst.

Von einer schwedischen Wurst, welche die beste in Europa sei, aber in Europa nicht verkauft werden dürfe wegen der EG, berichtet Prof. Schumacher von der Humboldt-Universität. Vor dem Hintergrund des Ausverkaufs der DDR zeige sich, das Schlimmste sei eine einheitliche, also vollends ausgetauschte, europäische Kultur; und die anderen fünf Viertel der Menschheit nichts als „der Geier Fraß“.

Natürlich tun solche Einwürfe der Fortpflanzung des bösen Wortes „Austausch“ keinen Abbruch. Herrn Nolle von einem „Verein für Kulturforschung und Austausch“ gelingt es endlich, den Diskurs gehörig zu sexualisieren: Ein Vertrauensverhältnis müsse geschaffen werden, daß man reden könne, auch über das, worüber man sonst nicht reden kann. Über dem Berliner Wunsch, vereinigt zu werden, dürfe nicht vergessen werden, „sich miteinander einzubringen, offen und ehrlich, ohne sich zu verlieren“. Auch was „tief sitzt, muß angefaßt„ werden. Wenn wir nicht „schnell machen, werden sich die alten Denkstrukturen verhärten“.

Pragmatische Erfahrungen, wie sie die Schriftstellerin Katja Lange-Müller bei Lesungen mit europäischen, also nicht deutschen Autoren in Frankfurt machen konnte, daß nämlich einfach weniger Leute dahin kommen, blieben ungehört. Weil jeder Teilnehmer genug Zeit hatte, was er vorbereitet hatte zu sagen, und dann die Zeit um war, hatte auch Genrietta Janowskaja, die derzeit das Regieseminar im Künstlerhaus Bethanien leitet, Zeit, unbeirrt ein wenig vom Regiemachen zu erzählen. Anwesend war außerdem noch eine Frau vom „Haus der Kulturen der (außereuropäischen) Welt“. Herr Müller, Heiner, war nicht da.

Ralf Fiedler