Bauarbeiterpfiffe für Tino Schwierzina

■ Ostberliner Bauarbeiter protestierten / Politprominenz war auch da / Pfiffe für Schwierzina - Beifall für Oskar

Ost-Berlin. Mehrere hundert Ostberliner Bauarbeiter protestierten gestern gegen den drohenden Bankrott ihrer Betriebe. Die Kasse der Kommune sei leer, keiner weiß, wie das Bauen im Ostteil der Stadt künftig finanziert werden soll.

„Es gibt keine Regelung für uns im Staatsvertrag“, beklagte ein Redner von der provisorisch aufgebauten LKW-Tribüne herab. Horst Schulz von der IG Bau/Holz verlangte von der Regierung eine schnelle Lösung des Problems: „Am besten so schnell, wie die Erhöhung der Diäten und Gehälter von Abgeordneten und Ministern vonstatten ging.“

Pfiffe ertönten, als Oberbürgermeister Tino Schwierzina das Wort ergriff. Schwierzina, der gestern die Stadtoberhäupter einiger Bezirksstädte zu einer Art Krisensitzung eingeladen hatte, verwies auf die katastrophale Finanzlage der Kommunen: „Nach aktuellem Stand können wir nicht einmal den alten Standard finanzieren.“ Er forderte, den Kommunen die notwendigen Mittel zuzuweisen: „Wir sind in Sorge, daß das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das neue demokratische System schon nach Monaten ins Wanken kommt, weil wir die notwendigsten Dinge nicht mehr finanzieren können.“ Während seiner vom Blatt verlesenen Rede kam es immer wieder zu Zwischenrufen wie: „Du hast gut reden, du wirst ja nicht arbeitslos!“ oder: „Streik!“

Eine ganz andere Reaktion hingegen zeigten die Ostberliner Bauarbeiter beim Auftreten des saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine. Der SPD -Kanzlerkandidat, der bereits seit Beginn der Veranstaltung mit den Demonstranten lebhafte Dispute führte, wurde unter großem Beifall an das Mikrophon gebeten. „Es wird große finanzielle Probleme geben“, sagte Lafontaine in seiner kurzen Ansprache, „und wer behauptet, er könne sie alle lösen, der ist ein Scharlatan.“ In der gegenwärtigen Lage der DDR sei es nicht sinnvoll, Arbeit zu finanzieren, die keine Abnahme finde; Wohnungen jedoch seien auf jeden Fall notwendig. Er werde seine Eindrücke, die er in Ost-Berlin sammeln konnte, in die Staatsvertragsverhandlung mit ein bringen. Lafontaine: „Ich verspre che nur, was ich auch halten kann.“

Am Schluß der Veranstaltung bat Johannes Schulzki, Sprecher der Belegschaftsvertretung der Ostberliner Bau-Union, wieder ruhig an die Arbeit zu gehen. Am nächsten Dienstag wolle man sich wieder auf dem Alexanderplatz zu einer größeren Demonstration zusammenfinden. Schulzki: „Auch war das heute kein Streik. Die meisten Unternehmen hatten ihre Zustimmung für die heutige Veranstaltung gegeben. Es war also eine Art bezahlte Freistellung.“

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