: Über die Stange gestolpert
■ Paul Schockemöhle, der wegen seiner Trainingsmethoden hart angegriffene Springreiter und Pferdezüchter, löst aufgrund der Vorwürfe seinen Stall auf und bläst sein Eliteturnier in Bremen ab
Berlin (taz) - Was ihm im Turnier noch niemals geschah, ereilte Paul Schockemöhle nach Ende seiner Laubahn: Er, in der Pferdeszene aufgrund seiner herausragenden und alles beherrschenden Stellung ehrfurchtsvoll „der Pate“ genannt, hat sich rettungslos vergallopiert. Weder mit der heuchlerischen Beteuerung, er liebe doch seine Pferde, noch der Versicherung, das Schlagen auf die Beine täte den Pferden nicht so sehr weh und wäre vielmehr eine tierschützerische Maßnahme, konnte er die aufgebrachte Öffentlichkeit überzeugen.
Er, der sonst mit glatter Zunge für Tausende von Mark Pferde anpreist, geriet im Sportstudio-Streitgespräch am Samstag im ZDF mehr als einmal ins Stocken, widersprach sich laufend und bot dem ebenfalls anwesenden Tierschützer gar seine eigenen Schienbeine dar, damit dieser mit besagter Stange draufhauen solle. Sein dummer Versuch, anhand der verwendeten Stangen das sogenannte „Barren“ der Springpferde zum Fachgebiet zu erklären, scheiterte kläglich. Denn Schlagen ist Schlagen, und kann unmöglich den Pferden dienen.
Nun zog er überraschend schnell die Konsequenzen: Sein circa 700 Pferde umfassender Reitstall in Mühlen wird aufgelöst und das vom 20. bis 23. September geplante hochdotierte Turnier „German Classics“ in Bremen abgesagt. „Ich habe mich entschlossen, den internationalen Sport aufzugeben“, erklärte Paul Schockemöhle, der ein Jahrzehnt lang den deutschen und zeitweilig auch den europäischen Turniersport beherrscht hatte. „Ich werde zwar weiterhin Pferde behalten und mich auf nationaler Ebene engagieren, aber ich habe einfach keine Lust mehr, mich diesen Angriffen wie in den letzten Tagen auszusetzen. Was habe ich davon, daß ich in Stockholm vielleicht einen Herzinfarkt bekomme? Mir geht es gesundheitlich ohnehin schlecht genug.“
Obgleich einem bei diesen Worten des so ungerecht Behandelten schier die Tränen kommen, vermuten Kenner der Szene andere Hintergründe für das schnelle Abtreten des ansonsten nicht sehr zart besaiteten Pferdehändlers: Angst vor weiterer Aufdeckung. Denn zweifellos existieren noch mehr Mitwisser umstrittener Methoden, die nun auf die Idee kommen könnten, ihr Wissen ebenfalls zu veröffentlichen. Beispielsweise mit Doping wurde Schockemöhle in der Zeitschrift 'Sports‘ glaubhaft in Verbindung gebracht.
Der zweite wesentliche Grund für die schnelle Aufgabe Schockemöhles ist der Rückzug der Sponsoren. Wenige Tage nach Veröffentlichung der Vorwürfe zog das Unternehmen Eurocard sich als Hauptsponsor von dem von ihm und Tennis -Manager Ion Tiriac kreierten Bremer Turnier „German Classics“ zurück. Die „German Classics“ waren bei ihrer Erstauflage im vorigen Jahr Europas höchstdotiertes und bestbesetztes Hallenturnier. Doch mit Tierquälerei läßt sich kein positives Image für welches Produkt auch immer herstellen. Auch Mercedes-Benz und eine Brauerei machen ihre Unterstützung von der weiteren Entwicklung der Diskussion abhängig.
Auffälllig bei der ganzen Affäre ist jedoch die Haltung der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). Als schon längst die Öffentlichkeit aufschrie und der Tierschutzbund Anzeige erstattete, übte sich der Fachverband in Zurückhaltung und verlautbarte gar, in dem festgehaltenen Barren der Pferde keine unfachgerechte Behandlung entdecken zu können. Nun kommentierte der Präsident Dieter Graf Landsberg-Velen, die Entscheidung Schockemöhles gar mit großer Bestürzung: „Das ist sehr bedauerlich. Die Partnerschaft des Verbandes mit Paul Schockemöhle bei der Suche nach guten Pferden für gute Reiter war sehr fruchtbar. Und wenn es auch oft geschrieben wurde, der Verband war nicht abhängig. Es war wirklich eine Partnerschaft, in der sich einer auf den anderen, auf ein einmal gegebenes Wort verlassen konnte. Insofern ist der Entschluß von Paul Schockemöhle ein harter Verlust. Andererseits wird der bundesdeutsche Springsport nicht aufhören zu bestehen. Wir müssen nach Alternativen suchen. Aber das braucht Zeit.“
Kritisch erklärte der Reiter-Präsident: „Es ist schon sehr, sehr bedrückend, wenn auf diese Art und Weise - und damit meine ich das ganze Geschehen - wieder Schlagzeilen gemacht werden. Es macht mich jedoch betroffen und bedrückt, wie schnell Vorverurteilungen erfolgen. Wir leben doch in einem Rechtsstaat. Da muß doch erst die Schuld nachgewiesen werden. Und nach meiner Kenntnis ist das noch nicht der Fall.“
Was ihn nicht zu bedrücken scheint, sind die Torturen, die die Pferde des besten Springstalls der Welt zu erleiden haben. Die FN hat sich in dieser Affäre als das enttarnt, was ihr oftmals vorgeworfen wurde: ein Organ zur Ausführung der Schockemöhlschen Wünsche zu sein. Sorgfältig hatte sich dieser seine Macht aufgebaut: Fast alle Nationalreiter sind bei im angestellt, dementsprechend groß ist sein Einfluß.
Auch die Unterstützung Schockemöhles durch namhafte Repräsentanten der deutschen Reiterei von Josef Neckermann über Reiner Klimke bis zu seinem Bruder, Olympia-Sieger Alwin Schockemöhle, und zahlreichen prominenten ausländischen Springreitern einschließlich Weltcup-Sieger John Whitaker und Hugo Simon verwundert in dieser Szene kaum. Wo jeder eine Leiche im Keller hat, deckt man sich gegenseitig. John Whitaker wurde beobachtet, als er seinen Milton absichtlich in Sprünge setzte, Hugo Simon pflegt sich mit den Sporen auf dem Pferd zu halten, und selbst Dr. Rainer Klimke zog 1986 einen lahmen Aalerich durch eine Grand-Prix-Prüfung in Aachen.
Der Ersteller der Videobänder Lorenz bestätigte Klimkes Angaben, die Filme bereits vor zwei Jahren gesehen zu haben. „Klimke und seine Frau kamen, um die Filme zu sehen, und sie zeigten sich sichtlich erschüttert“, so Lorenz.
Nach dem eigenen Rückzug stellte Schockemöhle seinen Rietern Franke Sloothaak und Otto Becker frei, ob sie in Schweden antreten wollen oder nicht. Daraufhin erklärte sich Mannschafts-Olympiasieger Franke Sloothaak prompt mit Paul Schockemöhle solidarisch und verzichtete auf einen WM-Start in Stockholm.
Der Deutsche Meister Otto Becker, der nach der Weltmeisterschaft mutmaßlich auf den elterlichen Hof im fränkischen Großostheim zurückkehren wird, wird dagegen in Stockholm reiten. Sein Motto ist verständlich: „Das ist meine erste und vielleicht auch meine letzte Chance, einmal an einer Weltmeisterschaft teilnehmen zu können.“ Deutschlands stärkster Springreiter Sloothaak, dem mit Walzerkönig eines der besten Pferde Europas zur Verfügung steht, ließ sich dagegen auch nicht vom extra nach Mühlen geeilten Bundestrainer Herbert Meyer, der noch am Montag vormittag die deutsche WM-Mannschaft mit Sloothaak, Becker, Ludger Beerbaum und Rene Tebbel nominiert hatte, umstimmen: „Paul Schockemöhle ist so fertiggemacht worden, daß ich vor mir nicht bestehen kann, wenn ich nach Schweden fahren würde. Ich verdanke Paul so viel und gehörte fast zur Familie; da kann ich jetzt nicht mehr in Stockholm reiten.“ Außerdem, das vergaß er zu erwähnen, war er beim Barren mit von der Partie. Seinen Platz im deutschen WM-Team nimmt jetzt der ursprünglich als Reservereiter vorgesehene Olympia -Dritte Karsten Huck (Neumünster) ein. Welche praktischen Konsequenzen Paul Schockemöhles Entscheidung für den deutschen Springsport in den nächsten Jahren haben wird, ist noch völlig unübersehbar.
Michaela Schießl
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