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Die Linke muß Ideen entwickeln, ohne abstrakt den Machtgewinn zu beklagen

■ Nach Kohls Erfolg bei Gorbatschow

KOMMENTARE

Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg. Diese politische Maxime hat Bundeskanzler Kohl geradezu triumphal erfüllt. Er kehrt mit der sowjetischen Zustimmung zur vollen Souveränität des vereinten Deutschland zurück. Der Erfolg hat auch schon den Charakter eines ersten außenpolitischen Schrittes der neuen mitteleuropäische Vormacht Deutschland. Die Sowjetunion hat sich aus der politischen Generalverantwortung für Mittel- und Osteuropa entlassen und den deutschen „Partner“ (Gorbatschow) als gleichrangig anerkannt. Mit der Übereinkunft sind die Vier-plus-zwei -Gespräche entwertet. Ihre Bedeutung als eine friedenvertragsähnliche Verhandlungsrunde ist dahin. Die Nachkriegszeit ist jetzt schon politisch beendet. Gewiß kann - und das macht den Wert dieser Vereinbarung aus - die Zustimmung Gorbatschows zur vollen Souveränität auch als ein neuerlicher Sieg des „Helden des Rückzugs“ (Enzensberger) gesehen werden. Er hat aus einem nicht mehr haltbaren Siegermacht-Anspruch, aus dem Zerfall des Ostblocks und angesichts der immer schneller drehenden innenpolitischen Zentrifuge in seinem Land den größtmöglichsten Vorteil gewonnen: politischen Spielraum und Einfluß beim europäischen Einigungsprozeß. Daß Gorbatschow Bismarcks Begriff der „Realpolitik“ gebrauchte, hatte durchaus den Hintergedanken einer Anspielung an den „ehrlichen Makler“ des Berliner Kongresses von 1878. Tatsächlich war die Bundesregierung auf dem Wirtschaftsgipfel in Housten so etwas wie ein Makler sowjetischer Interessen, was Moskau ausdrücklich hervorhob.

Der Hinweis schmälert aber nicht Kohls Leistung. Er hat (Primat der Innenpolitik!) durch seine Tempomacherei zur deutschen Einigung alle innen- und deutschlandpolitischen Widersprüche gebrochen. Der Akkord vom Kaukasus wäre nicht denkbar gewesen, ohne die begründete Einsicht, daß es für die Sowjetunion keinen innenpolitischen Hebel mehr gibt, auch keine DDR-Außenpolitik von begrenzter Souveränität.

Diese Liquidation einer Hoffnung auf einen vorübergehenden außenpolitischen Spielraum der DDR, mit der ja Meckel sein Interesse für dies Ressort begründete, kam in Ost-Berlin hart an. Die Regierung de Maiziere hatte ja, als besserer Kenner und natürlicher Ansprechpartner der sowjetischen Interessen, eine Verhandlungsvollmacht beansprucht. Mit dieser Macht versuchte sie bei allen Fragen und Zeitvorstellungen der deutschen Vereinigung zu wuchern. Die Macht ist vorbei und die Ostberliner Regierung ist herabgesunken auf eine Ministerpräsidentenschaft eines künftigen deutschen Bundeslandes mit großen Problemen.

Es wäre dabei falsch, Kohls demagogische Tempomacherei gegenüber der verantwortungsvollen Außenpolitik Genschers auszuspielen. Dessen Politik überzeugte ja auch Linke, weil sie versprach, die Vereinigung vom Nationalismus abzulösen. Die Einbettung des Vereinigungsprozesses in die europäische Einigung, in den KSZE-Prozeß, die Abrüstung, in die Revision der Nato-Politik steigerten den vereinigten Deutschen zum bessere Europäer, zum Boten eines neuen Friedens. Aber Genschers explizite Maxime war es, das innenpolitische Tempo der Vereinigung als Treibsatz dieser Prozesse zu benutzen. Er hat Deutschland faktisch zur Führungsmacht der europäischen Einigung gemacht. Die Europäisierung der deutschen Vereinigung war gewiß vernünftig, sie ist aber auch gleichzeitig Großmachtpolitik. Alle linken Alarmmuster haben sich jetzt erfüllt und sind zugleich obsolet geworden. Es ist nicht mehr die Frage, gegen den Schrecken eines vierten Reiches zu polemisieren. Es fragt sich vielmehr, ob die Linken Ideen entwickeln können, ohne abstrakt den Machtgewinn zu bejammern.

Kohls Erfolg könnte auch der Wahlsieg sein. So wie die SPD darauf reagiert, wird es der Wahlsieg sein. Ihr fiel nichts anderes ein, als nachzukarten und gehässig auf Brandts Ostpolitik zu verweisen. Wucherzinsen für eine historische Leistung! Da haben sie nicht einmal als Historiker recht. Denn die Entspannungspolitik war spätestens mit der Revolution im Herbst 1989 zu Ende. Selbst da könnte man noch argumentieren, daß diese Revolution auch die erstarrte Routine der Entspannungspolitik liquidierte. Lafontaine trug - zum ersten Mal vom politischen Instinkt verlassen - ein Infrastrukturprogramm für die DDR vor, ohne Gefühl dafür, daß neben den Schock der Marktwirtschaft auch die verkorksten Infrastrukturen des Realsozialismus die Wirtschaft gefährden. Der Rückzug auf die Sozialpolitik jedenfalls wird sich im Dezember nicht auszahlen. Im Gegenteil: Man muß jetzt wirklich Angst haben vor einer deutschen Führungsrolle, die ohne politische Alternativen einer starken Opposition sich entwickelt. Kanzler Kohl hat trotz seines Erfolges nicht einen Moment gezeigt, daß er politisch mehr im Kopf hat als die Wahlkampftaktik. Ideen zu einer mitteleuropäische Politik sind nicht da. Wie wird die Bundesregierung mit ihrer neuen Verantwortung gegenüber der Sowjetunion, die ja die Westbindung relativiert, umgehen? Wird sie nicht im Falle eines Konfliktes sich an die innenpolitisch Schwäche Gorbatschows erinnern? Wird sie nicht den Machtgewinn ausnützen und als ideeler Gesamteuropäer die Nachbarstaaten bevormunden, während die Opposition die Arbeitlosenstatistiken in der DDR beklagt?

Klaus Hartung

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