Bauernverband hofft auf Kompromiß

■ Heute Gespräche mit Ministerpräsident de Maiziere / Absatz, leere Kassen und mangelnde Erfahrung mit der Marktwirtschaft als dringliche Probleme / Kabinett entscheidet über Hilfsmaßnahmen für die Agrarwirtschaft / Appelle an die Bonner Regierung

Berlin (taz/dpa) - Der Absatz landwirtschaftlicher Produkte, finanzielle Soforthilfen und administrative Unterstützung für die mit den Mechanismen der neuen Marktwirtschaft noch unerfahrenen Agrarbetriebe - diese drei Problemkreise werden im Mittelpunkt der Gespräche der Bauernverbände der DDR mit Ministerpräsident Lothar de Maiziere am heutigen Mittwoch stehen. Von ihrem Ergebnis wird abhängen, ob die für das Wochenende ins Auge gefaßten landesweiten Protestaktionen der Bauern stattfinden werden. „Wir hoffen, daß die entsprechenden Entscheidungen getroffen werden“, erklärte der Pressesprecher des Bauernverbandes, Werner Wühst, auf Anfrage. „Wir greifen nur zu Aktionen, wenn es keinen Konsens gibt. Die Not ist zu real.“

Bei ihrer heutigen Kabinettssitzung will die Regierung Hilfsmaßnahmen zur Stützung der angeschlagenen Agrarwirtschaft beschließen. Neben Liquiditätskrediten sollen möglicherweise auch staatliche Ankäufe bestimmter Produkte zugesagt werden. Der stellvertretende CDU -Fraktionsvorsitzende Udo Kramm sagte am Dienstag vor Journalisten, daß staatliche Ankäufe vor allem bei Getreide, Milch und Fleisch erforderlich seien. Die Regierung bemühe sich auch um Kontakte zu bundesdeutschen Agrarverarbeitungsfirmen für Erzeuger aus der DDR, etwa, um Überschüsse in der Milchproduktion abzubauen. Außerdem will die Regierung zugesagte Liquiditätshilfen für die landwirtschaftlichen Betriebe vorziehen.

Bislang wurden den landwirtschaftlichen Betrieben im Vorgriff auf den Haushalt für das zweite Halbjahr 500 Millionen Mark an Krediten zur Verfügung gestellt - mit einer zehnprozentigen Verzinsung. Für Wühst ist die Frage der Kredite eines der vordringlichen Probleme. Achtzig Prozent der Betriebe könnten die Löhne für die Monate Juli und August nur noch mit Hilfe von Krediten bezahlen. Angesichts der hohen Zinsbelastung „rettet das die beiden Monate, verschärft aber die Situation“. Für das zweite Halbjahr seien über fünf Milliarden Mark notwendig. Da dies nicht aus dem Haushalt der DDR-Regierung zu finanzieren sei, müsse die Bundesregierung helfen.

Und in einem weiteren Punkt soll notfalls Bonn zu Hilfe eilen: mit der Entsendung von Verwaltungsbeamten, die sich in den Praktiken der Marktwirtschaft auskennen. „Uns fehlt die Erfahrung, welche marktwirtschaftlichen Methoden greifen“, so Wühst. Hier trifft sich der Sprecher des Bauernverbandes mit Bundesernährungsminister Ignaz Kiechle (CSU). Kiechle sagte in einem Interview, auf Wunsch könnten von heute auf morgen Fachleute in die DDR geschickt werden, um die dortigen Strukturen zu verbessern.

Einen Appell an Bonn startete auch die DDR-SPD. Die Bundesregierung solle umgehend Möglichkeiten dafür schaffen, daß landwirtschaftliche Rohprodukte importiert werden können, nachdem in den letzten Wochen massenhaft landwirtschaftliche Produkte in die DDR geflossen seien. Außerdem seien Zuschüsse für die Subventionierung des Osteuropa-Exportes nötig sowie die Sicherstellung von Löhnen und Gehältern in der Agrarwirtschaft und den Verarbeitungsbetrieben, hieß es in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung von Parteipräsidium und Volkskammerfraktion. Demgegenüber forderte die PDS eine Sondersteuer für Nahrungsmittel aus der BRD und anderen Ländern - für Wühst vom Bauernverband eine „völlig gerechtfertigte Forderung, selbst wenn sie in manchen Ohren nicht gut klingt“.

b.s.