Stasi-Ausschuß bald gesamtdeutsch?

■ Der Sonderausschuß der Volkskammer zur Stasi-Auflösung legt erste Ergebnisse vor Weniger „Offiziere im besonderen Einsatz“ als vermutet / Keine Vernichtung von Stasi-Akten

Aus Berlin Wolfgang Gast

Der Sonderausschuß der Volkskammer zur Kontrolle der Stasi -Auflösung hat gestern in Berlin erste Ergebnisse seiner Arbeit vorgelegt. Danach waren weniger „Offiziere im besonderen Einsatz“ (OibE) vom früheren Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in sicherheitsrelevante Positionen eingeschleust worden als bisher angenommen wurde. Nach den Recherchen des Volkskammer-Ausschusses waren insgesamt 1.556 OibEs seit 1986 für die Stasi tätig. 582 davon arbeiteten für den Auslandsspionagedienst „Aufklärung“. Etwa die Hälfte der Geheimsten der geheimen MfS-Mitarbeiter unterstanden der Berliner Stasi-Zentrale in der Normannenstraße.

Anzeichen dafür, daß das Netz der OibEs quasi als zweite Kommandostruktur geführt wurde, um im Krisenfall den Unterdrückungsapparat über die Runden zu retten, seien nicht gefunden worden, erklärte der Ausschußvorsitzende Joachim Gauck (Bündnis 90). Eingeschleust wurden die Stasi -Mitarbeiter beipielsweise in die Volkspolizei und in die Räte der Bezirke und der Kreise. Auch wenn die Namen dieser Offiziere mittlerweile intern bekannt sind, läßt sich die Frage, wieviele von ihnen noch ihre alten Funktionen innehaben, anhand der Recherchen nicht genau feststellen.

In einzelnen Gesprächen mit den MfS-Mitarbeitern werde aber nun darauf hingewirkt, daß die OibEs ihre alten Posten aufzugeben haben.

Über die Kontrolle des Auflösungsprozesses hinaus ist dem elfköpfigen Parlamentsausschuß von der Volkskammer die Überprüfung der Kontakte der Stasi zur RAF und die Pläne zur Internierung oppositioneller DDR-BürgerInnen als Aufgabe übertragen worden. Weiter soll der Ausschuß, der am 20. Juni gebildet wurde, auch die Frage des Psychiatriemißbrauches durch das MfS aufklären.

Joachim Gauck betonte gestern das entschiedene Veto des Sonderausschusses gegen eine Vernichtung der Stasi -Unterlagen. Die Aufarbeitung der Geschichte der Staatssicherheit stelle sich den BürgerInnen in der DDR als „politische Gemeinschaftsaufgabe“. Der Ausschuß wolle es nicht zulassen, daß das Thema unter den Teppich gekehrt werde. In der Frage, ob die Unterlagen des MfS vernichtet werden oder nicht, dürften nicht nur die Belange des Datenschutzes berücksichtigt werden. Auch das „beschädigte Rechtsgut der Bürger“ müsse bei der Entscheidung Eingang finden.

Mit Bedauern stellte der Ausschußvorsitzende weiter fest, daß er eine „Entschlossenheit“ in der Überprüfung der Volkskammermitglieder auf eine mögliche Stasi-Vergangenheit bisher hat vermissen müssen. Angesicht der „Deformationen“ in der DDR-Gesellschaft sei es realistisch damit zu rechnen, daß der zuständige, von der Volkskammer eingesetzte Überprüfungsausschuß in dem einen oder anderen Fall fündig werde. Der PDS-Abgeordnete Michael Schuhmann, in beiden parlamentarischen Gremien vertreten, betonte dagegen, daß es dafür bislang „keinen festen Anhaltspunkt“ gebe. Daß die Arbeit des Überprüfungsausschusses noch nicht abgeschlossen sei, erklärte er mit der „soliden und äußerst gründlichen Arbeit“ des Ausschusses.

Joachim Gauck zeigte sich gestern auch davon überzeugt, daß der Sonderausschuß der Volkskammer den Zeitpunkt der Vereinigung der beiden deutschen Staaten überleben und von einem gesamtdeutschen Parlament fortgeführt werde. Er schlug vor, eine entsprechende Regelung in den zweiten Staatsvertrag aufzunehmen.