Ausnüchterung

■ Der „Bekehrte Trunkenbold“ im Packhaus-Theater / Dilletanz, uncharmant

Der Besoffene ist in der ganzen Theaterwelt die dankbarste Rolle. Sogar ich, der ich aus guten Gründen jede Bühne meide, könnte Ihnen tadellos einen vormachen. Es gibt aberLeute, bei denen ist es andersherum.

Dienstag, im Packhaus-Theater. Da sitzen zwei, Namen sag ich nicht, vor großen Mengen Weines, krümmen die Zungen, daß nach Lallen klingt, was sie sagen, und befehligen ihre unwilligen Gesichtszüge von Zeit zu Zeit zu neuen Aufstellungen. Aber die Musik ist charmant und von Gluck, ein hingezwinkerter Sechsachtel-Reigen, der uns versöhnlich stimmt.

Christoph Willibald Glucks (1714-1787) Durchbruch kam mit dem wunderbaren „Orfeo“ erst 1762. Vorher hatte er gut 20 kaum beachtete Opern geschrieben , darunter 1760 die Komische Oper „Der bekehrte Trunkenbold“. Ein paar junge Leute um den Regisseur Rudolf Danker haben sie nunmehr für das Sommertheater im Packhaus ausgegraben. Und wußten dann, denk ich mir, auch nicht mehr so recht.

Die Musik ist süffig und geht unmittelbar in den Kreislauf. Liebliche, preiswerte Kabinettsarien sind darunter und trockenere Qualitätsliedchen mit Prädikat, aber daß Mathias Siebert, der musikalische Leiter, das ganze Orchester auf seinem Synthi si

muliert, ist einerseits eine nette Unverfrorenheit, andererseits aber eben auch eine ganz wacklige Geschichte, wenn die Musik alles tragen muß. Weil wir nichts Anständiges zu sehen kriegen, sind wir ganz Ohr, und was wir hören, ist ganz geplättet.

Derweil begibt sich auf der Bühne viel Mühevolles, bewegen sich die Figuren, bekleckst mit Charakterfarben aus der Instant

Tube, und zeigen, wie man einen Säufer hereinlegt. Es wäre übrigens klug gewesen, ein bißchen in den Vordergrund zu spielen, daß „Der bekehrte Trunkenbold“, wie ich vermute, eine der ersten theatralischen Äußerungen des heraufkommenden bürgerlichen Zeitalters gewesen ist: die Oper weidet sich an der Ausnüchterung vermittels der Vertragsfalle. Dem Säufer wird schlicht ein

Kontrakt untergejubelt, der ihn zwingt, vernünftig zu werden.

Bis auf eine sind die Stimmen achtbar und schlicht. Das erspart uns immerhin die gnadenlos tremolierte Butterkrem, die sonst noch allzuoft den Sangesmündern wie Tortenspritzen entquillt. Manfred Dworscha

bis 24.7. je 21 Uhr, Packhaus-Theaterhof, bei schlechtem Wetter auf dem Orchesterboden