Divan, Suite 306, Zimtläden

■ Klein, fein, viel Wort: Noch drei Wochen „Kampnagel„-Sommertheater in Hamburg

Seit vergangenem Wochenende ist die Independent -Theaterszene festivalfiebrig erhitzt. Im Kampnagel -Sommertheater trifft sich wieder die halbe Welt und schaut sich an.

Eine deutsch-polnische Koproduktion zeigt das Kreaturentheater mit Die Zimtläden“, ein Stück, das in der Tradition Tadeusz Kantors die polnisch-jüdische Kultur wieder zum Leben erweckt (21.-24.7.). Das Studio Teatr Wroclaw macht sich in rasanten Bildern Gedanken über Das Ende Europas (25.-27.7.).

Aus der Bundesrepublik sind drei Produktionen zu sehen: Der Autor Peter Sichrovsky schuf mit dem Wiener Jubiläumsensemble eine szenische Fassung seiner Interviews mit Nachfahren von Nationalsozialisten, die unter dem Titel Schuldig geboren veröffentlicht worden waren (2./3.8.). Eva-Maria Martin tanzt Zur Erinnerung an Deinen lieben Papa „Fragmente einer Lebensgeschichte, die im Nachkriegsdeutschland unter dem Einfluß eines Offiziersvaters beginnt“ (Programmheft); eine Deutsche,

die auszieht nach Spanien, weil sie keine Deutsche mehr sein will und die dort auf den Flamenco stößt (30./31.7.). Manfred Karge schrieb für und inszenierte mit Lore Brunner vom Schauspielhaus Bochum den Monolog Jacke wie Hose, Rückblick auf ein Frauenleben, das zum Überleben die männliche Maske überzog (27./28.7.). Etwas aus dem Rahmen fällt eine vierte BRD-Produktion: Hans Jürgen Syberbergs Inszenierung von Kleists Marquise von O., gespielt von der großartigen Edith Clever (20./21.7.).

Es sind auffallend viele Soloproduktionen zum Festival eingeladen. Klein, fein und viel Wort, so heißt der neue Trend des Sommertheaters, nachdem jahrelang auf großformatige Bildertheater gesetzt wurde. Ob hier aus der Not neue Tugendhaftigkeit wurde, läßt sich noch nicht absehen.

Aus dem Bereich des Tanztheaters gastieren nur vier Produktionen in der Kampnagelfabrik. Auch das erscheint als eine Trendwende. „Zuviel Gleichförmiges“ sieht Programm -Macher

Dieter Jänicke in der europäischen Tanzszene. Unter den Eingeladenen ist die preisgekrönte Compagnie des in Paris lebenden Ungarn Josef Nadj mit La mort de l'empereur, einer Choreographie in surrealen Bildern, die alle klassischen Bewegungsabläufe außer acht läßt und inspiriert ist von altchinesischen Texten und orientalischen Mythen (4./5.8.). Ein anderes Stück heißt Simplicissimus, wird getanzt von der ebenfalls in Paris lebenden Italienerin Francesca Lattuada und ist eine merkwürdige Geschichte aus dem Jahr 1711, in dem, wie es heißt, der Papst sein Gedächtnis verlor (20.-22.7.). Das Sofia Trio aus Ungarn zeigt eine dreißigminütige Choreografie mit dem Titel Der Divan, ein makabres ungarisches Märchen (28./29.7). In Kanada ist das Tanztheater Carbone 14 beheimatet, das mit Le dortoir (Der Schlafsaal) den pädagogischen Aufbruch der 60er Jahre ins Gedächtnis zurückholt (28./29.8.).

In gar kein Schema paßt ein anderes Gastspiel: Die Station House Opera gilt als eine der span

nendsten und experimentier freudigsten Gruppen der Londoner Theaterszene, Cuckoo zeigt, „wie das Möbel den Menschen regiert“ (1.-4.8.).

Ein Schwerpunkt des Sommertheaters ist auch das spanische Katalonien. Der Komponist und Pianist Carles Santos dirigierte auf dem Eröffnungsabend am 13. Juli Tramuntana Tremens, ein a-capella-Konzert mit dem Cor de Valencia. Im Metropolis laufen dreizehn Beispiele des neuen katalanischen Films. Gerade die junge Generation der katalanischen Filmemacher, heißt es, suche in der Beschäftigung mit der Geschichte die eigene kulturelle Identität. Eine Ausstellung in der Halle 3 des Kampnagelgeländes präsentiert den Maler Josep Guinovart mit einer Werkschau der Jahre 1948-1988. Als „Juwel“ kündigt die Festivalleitung die Tanzperformance von Angels Margarit in der Suite 306 des Hotel Atlantic an, eine getanzte Endlosschleife vor jeweils zwölf Zuschauern (28.7.-1.8.). Sabine Seifer

Informationen: Tel. 2705627