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Rundreise durch Bernaus Vergangenheit

■ Zu Besuch im Kreis Bernau, in der Partnergemeinde von Berlin-Schöneberg/Sie hat die meisten Stasi-Objekte der DDR/Rote Armee verseucht Werneuchen mit Kerosin und startet bis zwei Uhr morgens

DIRK WILDT

BERNAU

Das kleine märkische Städtchen ist für Berliner vor allem eine S-Bahn-Station nördlich der Hauptstadt. Landrat Dieter Friese (SPD) will jedoch dafür sorgen, daß dies nicht so bleibt: „Wenn sich die Berliner überlegen, wo sie am Wochenende hinfahren, dann muß im Hinterkopf schon Bernau sein.“ Wenn bisher einer den Kreis „im Hinterkopf“ hatte, dann die geschaßten SED-Spitzen: Honecker hatte hier sein Jagdhaus, Mielke, Mittag und Schalck-Golodkowski ihre Datschen. Doch der SED-Staat hat den 71.000 Bürgern des Kreises noch ganz andere Dinge hinterlassen.

Bernau „ist Spitze in der DDR“ (Friese), wenn es um die Dichte von Stasi-Einrichtungen geht. In dem 785 Quadratkilometer großen Fleck (Berlin: 883 Quadratkilometer) gibt es 744 bekannte Objekte. Wofür sie genutzt wurden, ist längst nicht von allen Objekten bekannt. Noch immer wird der Kreisstaatsanwalt, Klaus Schulze, an der Aufklärung darüber gehindert. Zuletzt erfuhr er über die taz-Stasi -Liste, daß ein Bau mit „Ziergittern“ in Blumenberg kein „Schulungszentrum“ war, wie ihm Behörden weisgemacht hatten, sondern ein Objekt der Abteilung 14: Geheime Haftanstalten.

In Zepernick, einem Ort zwischen dem Berliner Ring und der Fernstraße F2, verbarg sich hinter einem Sichtschutz das „Aufnahmeheim“ der Stasi. Hier hinein kam jeder, der zurück in die DDR wollte: reuige Übersiedler und auch die Aussteiger aus der RAF. In abhörsicheren Räumen wurde abgeklopft, wer sich für Spionage eignet. In dem siebenstöckigen Haupthaus leben heute Rentnerinnen - Stasi -Komplex als Seniorenheim. „Wenn wir genug Geld bekommen“, verspricht Geschäftsführerin Gisa Kuhn, „dann wird es in Zepernick 160 Rentnerwohnungen und für 60 behinderte Kinder einen Platz geben.“

Von den Balkonen können die RentnerInnen auf eine gemähte Rasenfläche sehen. Er verdeckt einen darunter verlegten, 100 Meter langen Tunnel. Hier übten Stasi-Schützen schallisoliert das Töten. Noch heute zeugen zerschossene Zielscheiben und durchschossene Stahlhelme der NVA von diesem Training. Auf den Zielscheiben mußte penibel der Name des Schützen und die verwendete Munition eingetragen werden.

Doch nicht jede Stasi-Einrichtung darf der Kreis für seine RentnerInnen oder andere Leute nutzen. Innenminister Diestel will eine Bungalowsiedlung des ehemaligen Repressionsapparates an Bernau nicht einmal verkaufen. Man benötige die Immobilie, heißt es in dem vorläufig letzten Brief an Landrat Friese, selbst - als „Naherholungskapazität“.

Friese muß sich nicht nur mit Diestel streiten, Ärger hat er auch mit der russischen Besatzungsmacht. Auf dem Militärflughafen in Werneuchen an der F158, auf dem die Nazis die Heinz-Rühmann-Klamotte Quax, der Bruchpilot gedreht hatten, haben Soldaten jahrelang gedankenlos Kerosin verschüttet. Auf einer benachbarten Obstplantage sind auf einer Fläche von etwa einem kleinen Sportplatz die Bäume eingegangen, und es stinkt fürchterlich nach dem Flugzeugtreibstoff. Die MiGs 25 und 26 könnten mittlerweile, spötteln einige, gleich mit Erde „betankt“ werden: Auf ein Kilo Mutterboden kommen 14 Gramm Kerosin. Diese Werte aber sind nicht offiziell, der Kommandant des Start- und Landeplatzes verweigert bisher jede Messung auf seinem Gelände. Friese hat den Kommandanten angezeigt. Noch soll das Grundwasser nicht belastet sein, sagt der Landrat. Doch wenn der Boden nicht saniert wird (Kosten pro Kubikmeter etwa 300 Mark), dann „tickt hier eine Zeitbombe“ (Friese). Werneuchen gehört zum Wassereinzugsgebiet von Berlin.

Doch die WerneuchenerInnen müssen nicht nur unter einem ständigen Kerosin- und Altölgeruch leiden - nachts können sie kein Auge zumachen. Die Rote Armee übt Starten und Landen bis zwei Uhr morgens. Ihre Begründung: Sonst könnten sie keine Nachtflugpiloten ausbilden. Letztes Jahr haben sie ihre Luftgefechte sogar zweimal über dem Marktplatz von Werneuchen ausgetragen. Friese erinnert, daß damals die Leute „aus ihren Häusern stürzten“ und dachten, „es geht los“. Nach dem ersten Mal hatten die Sowjets sich entschuldigt. Doch Frieses Geduld mit den Rotarmisten ist am Ende: „Wann werden wir von den Russen befreit?“

Idyllisch wird es wieder auf der anderen, der Westseite des Kreises Bernau. Am Stolzenhagener See an der F109 hat Devisenbeschaffer Schalck-Golodkowski eine seiner vielen Datschen gehabt - gehabt, denn kurz vor seiner Flucht in die BRD überschrieb er das Grundstück am See mit den mehreren „Baukörpern“ (Staatsanwalt Schulze) seiner Frau und seiner Schwester. Ob die großzügige Uferparzelle mit diversen Finnhütten beschlagnahmt werden darf, muß der Generalstaatsanwalt entscheiden - doch der läßt sich Zeit. Als Stolzenhagens parteilose Bürgermeisterin Angelika Böhme das Tor der Uferstraße 29 aufschließen will, stellt sie fest, daß das Grundstück entgegen Absprachen nicht bewacht ist und zudem auch ein abgebrochener Schlüssel im Schloß steckt: „Hier war jemand.“

Durch den Hintereingang gelangt man trotzdem auf das Grundstück und in das Haupthaus. Trotz Schalcks Reichtum hält die Einrichtung nicht mit westlichem Standard mit: Im Dachgeschoß ist kein Teppich ausgelegt, die Möbel sind klapprig, und an der Beleuchtung wurde gespart. Um so schöner der Ausblick aus dem ersten Stock auf den einladenden Stolzenhagener See, aufs Schilf und die Trauerweiden am Ufer. Am Steg verrottet ein blau-weißes Tretboot. Nur einer kann sich hier nicht entspannen: Staatsanwalt Schulze. Er darf nämlich nicht gegen den ehemaligen Besitzer ermitteln, weil der Militärstaatsanwalt das Verfahren an sich gerissen hat. Schulze findet es „eigentümlich“, daß Schalck-Golodkowski nicht als Wirtschaftsstraftäter, sondern als angeblicher Oberst verfolgt wird.

Die Herausgabe der Honecker-Immobilien wagte natürlich kein Militär- oder Generalstaatsanwalt zu verzögern. Im Jagdhaus (130 Quadratmeter Wohnfläche) des vertriebenen Staatsratsvorsitzenden ist Förster Jörg Sülzenbrück (28) mit seiner Frau und seinen drei Kindern eingezogen. Anfang dieser Woche schaffte er mit seinem hellblauen Trabi-Kombi samt Anhänger den Rest aus seiner alten Wohnung hierher. Hinter dem geschlossenen Tor liegt ein Haufen bunten Spielzeugs. Förster Sülzenbrücks Revier ist 1.400 Hektar groß. Er muß aufpassen, daß besonders das Rotwild keinen allzu großen Schaden anrichtet. Außer dem Schalenwild tollen sich hier in der Schorfheide im Norden des Kreises Bernau auch Dachse und Füchse.

Die Berliner werden bald merken: Bernau ist nicht nur eine S-Bahn-Station.

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