Der politische Dichter

■ Vaclav Havels „Vanek-Trilogie“ im Ensemble-Theater

Antonin Liehm, gebürtiger Tscheche und Herausge ber der Literaturzeitschrift 'Lettre Internationale‘ in Paris, spricht, nach Vaclav Havel und dessen Theaterstücken befragt, von einem Schwanensee-Syndrom. In einem Beitrag zum Theaterprogramm der Vanek-Trilogie erzählt er, daß er als alter Freund des Schriftstellers die Welt nach Maßgabe von Havel-Premieren bereist hat und schließlich nachgerade von ihnen verfolgt worden ist: Wo auch immer er auftauchte, ob in England oder Polen, lag eine Theaterkarte für eine Havel-Premiere für ihn bereit.

Wollte man Antonin Liehm in Berlin gebührend empfangen und ihm das gewohnheitsmäßige Abendkulturprogramm bieten, wäre man bis dato schwer in Verlegenheit gekommen. Nicht so allerdings im Moment. Mit gehöriger Verspätung sind Vaclav Havels drei Einakter Audienz und Vernissage sowie Protest jetzt vom „berliner theater“ im Gesamtdurchlauf auf eine Berliner Bühne gelangt. Nur muß man jetzt leider erfahren, daß die Stücke des Dissidenten nicht mehr in die Zeit des Staatspräsidenten gehören.

Zu sehr sind Havels Stücke im tschechischen Kontext und in einem autoritären politischen System situiert. Auch wenn sie, zyklisch gebaut und von einer Komik der Wiederholung profitierend, die einfache Verlogenheit, das naheliegende Vorteilsgeheische und die Bosheit des Common sense zum Gegenstand haben, der durch die moralisierende Alter-ego -Figur Havels, Ferdinand Vanek, aufgedeckt werden soll; wenn sie sich also an allgemein menschlichen Kontaktstörungen entzünden und ihre Komik aus der Wiederkehr der ewigen Floskel beziehen, bleiben doch die Situationen außerhalb des historisch gewordenen Kontextes mehr oder weniger reibungslos.

In Audienz versucht ein sich großzügig gebender Braumeister, um seine Versetzung an einen besseren Arbeitsplatz zu befördern, den als Fässerroller eingestellten Schriftsteller zur Denunziation seiner Kollegen zu verleiten; in Vernissage will ein junges Paar den am Rande der Legalität entlanglebenden Vanek von den Vorteilen eines bürgerlich-gediegenen, ästhetisch ausgestopften Lebens überzeugen; in Protest versucht ein Fernsehjournalist, den gerade aus dem Gefängnis Entlassenen zur Abfassung eines Protestschreibens gegen die Verhaftung eines Liedermachers zu bewegen, weil seine Tochter mit dem Liedermacher befreundet ist, wie sich zeigt.

Vanek, der Intellektuelle, hat in jedem Fall schon gehandelt, seine gesellschaftliche Randposition ist definiert, er muß sich nicht mehr über das Reden selber einfangen, legt daher große Schweigsamkeit und Zurückhaltung an den Tag. In dem Maße, wie er schweigt und nur zuhört, stellen sich die anderen vor ihm bloß: der Braumeister, der sich anfangs kollegial gibt und anbiedert, wird bei Vaneks Widerstand zu einem weinerlichen, sich selbst erniedrigenden Schwein; die Gastgeber, die Vanek als ihren besten Freund bezeichnen, dessen Lebensverhältnisse sie klären wollen, erweisen sich als einsames und verkrampftes Pärchen, das über forciertes Eigenlob nur sich selbst zu retten versucht; der Fernsehregisseur, der sich mutig und engagiert zeigen möchte, leistet seine Unterschrift gegen Ende nicht: Die Ausgangssituation kehrt sich in jedem Falle um, und Sieger ist immer der eine, der nach außen bereits alles verloren hat.

Ein bißchen wie im Leben Havels: Der Außenseiter wird Präsident. Die teilweise aus der Studiobühne hervorgegangene Gruppe, die diese drei Einakter unter der Leitung von Jan Helbing einstudiert hat, begann mit dieser Theaterarbeit noch vor dem November 1989. Man überlegte, ob man nach der gewandelten politischen Situation die Arbeit einstellen sollte und entschied sich dafür, die Stücke „zur Diskussion zu stellen“. Es sollte eher der unpolitische Aspekt der Dramen betont werden: Herausgekommen sind straff gespielte, pointierte, gelegentlich etwas überzogene Typenstudien, wobei Claudius Kayser als Vanek ein zu naiver, immer lächelnder Menschenfreund ist. Er könnte etwas fahriger, unkonzentrierter, selig-abwesender sein. Die beste Atmosphäre hat der erste Einakter, der Schlagabtausch zwischen Vanek und Michael Hansen als Braumeister, in Spiel, Bühnenbild und Handlungsführung gut realistisch inszeniert. Der zweite Teil kippt durch Überbietung nicht nur mit Hilfe der Ikea-Ausstattung, sondern vor allem durch szenische Hochdruckerzeugung von Sabine Schwarzlose und Stefan Häuser gegen Vanek fast in einen Slapstick um; der dritte Teil ist von Hans Bernhard Seth zu geradlinig heruntergeredet, die Brüche in der Person des Stanek werden nicht akzentuiert. Dennoch verdiente es diese Theaterarbeit, zur Diskussion gestellt zu werden - mehr Besucher wären ihr zu wünschen, Karel Gott und Pavel Kohout sind ja auch bei uns bekannt.

Michaela Ott

Bis zum 30.7. Do. bis Mo. um 20 Uhr, Ensemble-Theater, Hasenheide 54, Berlin 61.