Schleier vor Natur hilft Kultur

■ Ein Vortrag über „Islam und die Rolle der Frauen“ im Haus der Kulturen der Welt

Seit Dienstag läuft im Haus der Kulturen der Welt eine Veranstaltungsreihe „Islamische Welt im Umbruch“ mit Vorträgen, Filmen und Diskussionen. Den Auftakt bildete eine Diskussion zum Thema Frauen im Islam, und die war - zur absoluten Überraschung der Veranstalter - ein Publikumsknüller.

Der Ankündigung nach hätte man einen etwas zu großen Saal für die Veranstaltung erwartet. Die Besucher hätten die erste Reihe freigelassen und sich in den restlichen mit mindestens zwei leeren Stühlen Abstand höflich gruppiert. Randplätze favorisiert. Aber dann, im dämmrigen Tiergarten, wunderte man sich schon über die vielen Fußgänger und die geparkten Autos. Im Inneren der Kongreßhalle entdeckte man dann eine mehr als Aldi-lange Schlange, die auf Einlaß in den schon überfüllten Saal wartete. Verblüffte Organisatoren und herausgeforderte Tontechniker versuchten auf die schnelle, die Mikrophonanlage für die geplante Simultanübersetzung in den größeren Saal zu verlegen. 23 Minuten nach dem vorgesehenen Diskussionsbeginn erfolgte der Umzug der ungefähr fünfhundert Wartenden, verständnisvoll, denn niemand hatte mit einem solchen Andrang gerechnet...

Islam und die Rolle der Frauen war der erste von vier Vorträgen mit Diskussionen im Haus der Kulturen der Welt betitelt. Als Referenten waren Mohammed Arkoun, Professor für islamische Geistesgeschichte an der Sorbonne, und Fatima Mernissi, Professorin für Soziologie in Rabat, geladen. Moderieren sollte eigentlich Dr. Baber Johannsen von der Freien Universität, aber dazu kam es kaum. Die Stimmung im Saal glich einer Vollversammlung, auf der ein Streik oder ähnlich Aufregendes beschlossen werden soll. Folglich nahmen Vorstellung und Begrüßung der Referenten sowie deren Kommentare über a) Masse und b) Jugendlichkeit des Publikums viel Zeit in Anspruch. Noch nie, weder in der arabischen noch in der amerikanischen Welt, freute sich der weißhaarige Wissenschaftler, habe er vor einem solchen Auditorium geredet!

Arkoun skizzierte einige Thesen über das Verhältnis von Laizismus, Säkularismus und Islam. Zum Beispiel, daß „Fundamentalismus“ eben keine genuin islamische Erscheinung, sondern als Bewegung auch in der jüdischen oder christlichen Religion zu finden sei. Vor allem würden heute die Fragen nach diesem Verständnis falsch gestellt: in der islamischen Welt, weil dort das „Vergessen“ das historische Bewußtsein charakterisiere. Und ein Verständnis der unterschiedlichen Situationen von Indonesien bis Algerien - das sollten seine Blitzexkurse in die Geschichte des Islam seit dem siebten Jahrhundert wohl eher andeuten als erklären - ist ohne diese Fähigkeit zur Erinnerung einfach unmöglich. Im Westen hingegen, so Arkoun, vegetieren die Islamwissenschaften als Orchideenfächer vor sich hin, als eine Art „intellektueller Tourismus“. Dabei stünde dem (deutschen) Diskurs über Modernität - hier nannte er Habermas als Beispiel - eine gewisse interdisziplinäre Öffnung gewiß nicht schlecht.

Fatima Mernissi genoß die Theatralik der Veranstaltung, offensichtlich hatte sich eine echte Fangemeinde im Saal versammelt. Ja, genauso wie diese Veranstaltung habe sie sich Berlin vorgestellt. Daraufhin lachten alle, was sie sich von der Übersetzerin erst mal erklären lassen mußte, weil sie den „Voll-wie-in-der U-Bahn-im-November-Vergleich“ ja eigentlich nicht gemeint hatte. Egal, es paßte trotzdem. Kokett und kühn zugleich, eröffnete sie dann ihren Vortrag mit einem Vergleich zwischen der Berliner Mauer und dem moslemischen Schleier. Da erstere nun gefallen sei, sei sie guter Hoffnung, daß letzterem ein ähnliches Schicksal beschert würde. Zum besseren Verständnis, wie ihrer Meinung nach die arabische Welt funktioniere, hielt sie ein DIN-A4 -Blatt mit einer Skizze hoch, die aber nur ihre Nachbarn auf dem Podium erkennen konnten. Allen anderen erklärte sie mit Gesten und Worten: In der Mitte ist der Schleier, die Mauer, die Grenze. Darunter: die Frauen, die Natur, die Unordnung. Darüber: die Ordnung, die Kultur, die Vernunft und Autorität. Auf diesem Schema, so Mernissi, basiere die Stabilität der arabischen Gesellschaft, die automatisch ins Wanken gerate, wenn die Frauen zu sprechen beginnen und das verordnete Schweigen brechen. Es brauchten nicht einmal revolutionäre Reden sein, die die arabischen Frauen vernehmen ließen; das Sprechen als Akt sei entscheidend. Und genau das geschähe zur Zeit, wo sich zum Beispiel in Nordafrika eine zahlenmäßig starke intellektuelle Elite herausgebildet habe (Sprachkundige korrigierten die etwas unsichere Übersetzerin, Mernissi habe von einer weiblichen intellektuellen Elite geredet. Übersetzerin: Ja, klar! Wieder ein Lacherfolg). Mernissi verwies auf Scheherazade als Vorbild für diese neue Generation wirkungsvoll sprechender Frauen. Dies brachte ihr später den Vorwurf der „Unseriosität“ ein: Sie gebe sich als Islamwissenschaftlerin aus und zitiere statt des Korans aus 1001 Nacht. Die kurze, lächelnde Antwort auf den erregten Kritiker, der Frau Mernissi so gern auf Arabisch richtig die Meinung sagen wollte: Vous etes raison!

Es war eine merkwürdige Mischung von frauenbewegten Kleingruppen und arabischen Männern mit strahlend weißen Oberhemden unter korrekten Anzügen, von hin und wieder schreienden Babies, dezent drapierten PLO-Tüchern und interessierten Lehrerinnen, die einem sagte, daß an diesem Abend ein Thema eher entdeckt als abgehandelt wurde. Bestimmt folgen alsbald Vorträge, in denen die Säle wieder etwas zu groß und die Mikrophonanlage schon vor Diskussionsbeginn installiert sein werden. Aber dann werden auch die Übersetzerinnen in ihren Kabinen verschwunden sein und nicht mehr so sympathisch errötet und erhitzt das Podium beleben.

Dorothee Wenner

Heute abend um 20 Uhr im Haus der Kulturen der Welt: Fernsehen zwischen Koran, Regierungsverlautbarung und Aufklärung. Freitag: Musik als Wegbereiter einer laizi stischen Jugendkultur? - Filme siehe Programmteil. John-Foster Dulles-Allee 10, Berlin 21.