„Wir müssen die grüne Familie in Europa stärken“

■ Der polnische Grüne Zygmunt Fura über die Ausgrenzungspolitik der Westgrünen / „Die Westgrünen befürchten, daß das Zentrum grüner Politik Richtung Osten wandert und sie ihre dominante Position verlieren“ / Solidarnosc führt das Argument Arbeitsplätze für antiökologische Position an

INTERVIEW

taz: Mitte Juni trafen sich die Europäischen Grünen in Brüssel zu ihrem vierteljährlichen Treffen. Was ist das für ein Club?

Zygmunt Fura: Seit 1984 gibt es den Verband der Europäischen Grünen, in dem 22 grüne Parteien hauptsächlich aus Westeuropa zusammengeschlossen sind. Daneben gibt es noch Parteien mit Beobachterstatus aus Spanien, Norwegen, Malta, Georgien und Polen. Außerdem gibt es grüne Parteien, die mit den Europäischen Grünen in Kontakt stehen. Dazu gehören Parteien aus der CSFR, Ungarn, Litauen, Rumänien, der Sowjetunion, Bulgarien, Jugoslawien, der Türkei, Kanadas, den USA und Neuseeland. Der Verband wurde gegründet, um die internationale Arbeit der Mitgliedsparteien zu koordinieren und den Informationsaustausch zu fördern.

Die Europäischen Grünen arbeiten zur Zeit an einem Memorandum zu grüner Europapolitik für das Helsinki-Treffen im Herbst. Wie sieht Eure Zusammenarbeit aus?

Wir haben wenig Einfluß auf diese Diskussion. Beim letzten Treffen haben die bulgarischen Freunde einen Antrag auf Vollmitgliedschaft gestellt. Es gab viele Fragen und Ablehnungen. Schließlich wurde mit einer Stimme Mehrheit bestimmt, daß sie noch warten sollen. Das ist politisch nicht verständlich, weil wir die grüne Familie verstärken müssen. Wir in Polen waren die erste grüne Partei im Ostblock. Aber auch uns wurde der Beobachterposten zugewiesen. Das in einer Zeit, wo der Ostblock ergrünt.

Was sind die Gründe für die Ablehnung?

Meiner Meinung nach sind die westeuropäischen Grünen nicht auf die Entwicklung grüner Parteien in Osteuropa vorbereitet. Sie befürchten, daß das Zentrum grüner Politik Richtung Osten wandert und sie ihre dominante Position verlieren. Sie verstehen nicht die Bedingungen, unter denen wir arbeiten. Wir engagieren uns in postkommunistischen Gesellschaften, die noch nicht sehr demokratisch sind. Deshalb unterscheiden sich die internen Strukturen unserer Parteien von denen der westeuropäischen Grünen. Unser größtes Problem ist zur Zeit, wie wir auf die postkommunistischen Kräfte reagieren sollen. Wenn zum Beispiel Ex-Mitglieder kommunistischer Parteien zu uns kommen, können wir sie nicht ausschließen. Gleichzeitig wissen wir aber nicht, was ihre wirklichen Absichten sind. In Ländern wie Polen und Ungarn hatten wir die Situation, daß Mitglieder der kommunistischen Partei die Grünen infiltriert haben, um sich einen grünen Mantel umzulegen und dem Machtverlust zu begegnen. Denn die Grünen haben zur Zeit einen guten Ruf im Ostblock.

Was sind Eure politischen Streitpunkte?

Probleme bereiten die unterschiedlichen Einschätzungen zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, die Forderung der Westgrünen nach Neutralität des neuen Deutschlands, mit der wir Schwierigkeiten haben, und die Politik gegenüber der Sowjetunion. Ohne die Schaffung unabhängiger, konföderierter Regionen in der Sowjetunion wird es auch keine unabhängige Regionen im Rest Europas geben. Da gibt es jedoch unterschiedliche Meinungen über Gorbatschows Politik. Wir haben uns beispielsweise dafür eingesetzt, daß Litauen unabhängig wird. Bislang wurde dieser Kontroverse jedoch ausgewichen.

Probleme bereitet auch Euer Verhältnis zur Solidarnosc...

Solidarnosc hat zweifelsfrei eine wichtige Rolle im Demokratisierungsprozeß Polens gespielt. Jetzt haben sich aber die politischen Bedingungen verändert. Es ist jetzt Zeit zur Entwicklung von Demokratie durch Pluralismus. Es gibt ungefähr siebzig politische Gruppen und Parteien in Polen. Solidarnosc verfügt jedoch über ein Monopol im politischen Geschäft, so wie früher die kommunistische Partei.

Das macht sich bemerkbar bei Diskussionen über ökologische Probleme, in denen die Solidarnosc meistens das Argument der Arbeitsplätze mißbraucht. Das ökologische Programm der Solidarnosc hat heute weniger Substanz als 1980.

Das Interview führte Michael Bullard