Viele aktive Gruppen - Schwache Parteien

■ Ökologische Bewegungen in den osteuropäischen Ländern in politische Opposition integriert / Grüne Gruppen in Osteuropa sind nicht links, sondern liberal-demokratisch / Die Mehrheit der Bevölkerung will aus dem unfreiwilligen Mangel heraus

Von Erhard Stölting

Zwei Zielstellungen beherrschten die ehemaligen sozialistischen Systeme Osteuropas: Alles Geplante mußte möglichst gigantisch und möglichst ineffizient sein. Dem wurden Rohstoffe, Natur und menschliche Gesundheit geopfert. Die Umweltsituation ist daher noch verheerender als in den westlichen Industrieländern. Nur in Bulgarien ging es menschenfreundlicher zu. Dort verkündete die Führung 1986 nach dem GAU von Tschernobyl, daß keinerlei Gefahr bestünde, und ließ für sich selbst alle Lebensmittel einschließlich des Trinkwassers aus dem westlichsten Westeuropa einfliegen.

Jeder Protest mußte unter diesen Umständen an die Wurzeln des Systems gehen. Alle ökologischen Gruppen waren daher in die demokratischen Oppositionsbewegungen integriert, die ihrerseits meistens die Umweltsituation thematisierten.

Die Abschaffung des Sozialismus - Bedingung ökologischer Vernunft?

Die spezifische politische Umwelt prägte dabei das politische Spektrum. Westliche Umweltbewegungen waren mit mächtigen Kapitalinteressen konfrontiert und umfaßten daher meist auch starke antikapitalistische Fraktionen. Für die osteuropäischen Umweltbewegungen hingegen erschien die Abschaffung des Sozialismus aus naheliegenden Gründen als Bedingung der Möglichkeit ökologischer Vernunft. Sie sind daher nicht „links“ im west-östlichen Sinne, sondern liberal -demokratisch.

Die politisch bedeutsamste Umweltbewegung hatte und hat Bulgarien. Nachdem im Frühjahr 1988 aus der rumänischen Stadt Giurgiu eine Chlorgaswolke ins bulgarische Ruse auf der gegenüberliegenden Donauseite gezogen war, entstand dort das „Ruse-Komitee“, die erste unabhängige Oppositionsgruppe überhaupt. Aus ihr entwickelte sich zunächst als Netz kleiner Gruppen, ab April 1989 als Organisation die „Ekoglasnost“, Sie schwoll rasch zu einer Massenbewegung an, die sich in ihren Orts- und Fachgruppen intensiv und kompetent mit den Umweltproblemen des Landes auseinandersetzte. Neben Ekoglasnost enstanden viele kleinere Ökologiegruppen, die örtliche Probleme aufgriffen. Die im Dezember 1989 gegründete Grüne Partei blieb dagegen verhältnismäßig einflußlos.

Für Demokratie und „ideologische Entgiftung“

In Rumänien enstand die „Ökologische Bewegung Rumäniens“ verständlicherweise erst im Dezember 1989. Sie hat nach eigenen Angaben 56.000 Mitglieder und kämpft ihrem Programm zufolge auch für Demokratie, Abrüstung, Menschenrechte und „ideologische Entgiftung“. Gerade in ihr sind viele wissenschaftliche Spezialisten tätig, die sich gegenwärtig auch um eine ökologische Bestandsaufnahme des Landes bemühen. Allerdings steht diese „Bewegung“ der nationalen Rettungsfront Iliescus sehr nahe und ist damit für die oppositionelle „Ökologische Partei“ inakzeptabel. Deren Problem wiederum könnte der schwerere Zugang zu Informationen sein. Ihre programmatische These, daß Göttlichkeit und Natur aufeinander verweisen, ist überdies nur frommen Menschen verständlich.

In Ungarn war 1984 eine Bewegung zur Verhinderung des riesigen grenzüberschreitenden Kraftwerksprojekts zwischen Nagymaros und dem slowakischen Gabcikovo entstanden. 1985 erhielt das Nagymaros-Komitee den alternativen Nobelpreis. Gegen die seit 1986 matter werdenden Schikanen der damaligen Regierung und den Druck der Wasserbaulobby erreichte es schließlich Schritt für Schritt den Stopp des Projektes, das allerdings schon jetzt irreparable Schäden angerichtet hat. Immerhin setzte sich die ungarische Regierung durch ihr Nachgeben massiven Entschädigungsforderungen der Tschechoslowakei aus. Mit dem politischen Umschwung dort hat sich die Situation allerdings entspannt. Die neue Regierung in Prag will das Projekt auch nicht, und inzwischen sind sogar grenzüberschreitende ungarisch-slowakische Umweltdemonstrationen möglich.

Ein ökologisches Katastrophengebiet

Die ökologischen Probleme der CSFR sieht jeder, der durch die Mondlandschaft auf der böhmischen Seite des Erzgebirges fährt. Das hochindustrialisierte Nordböhmen ist ein einziges ökologisches Katastrophengebiet, aber selbst in der Slowakei sind 35 Prozent des Waldes schwer geschädigt. Schon die Charta 77 hatte in eigenen Arbeitsgruppen die ökologische Situation aufgearbeitet. Nach dem Umschwung entstand eine Reihe ökologischer Gruppen. Im Dezember wurde eine tschechische grüne Partei gegründet, die sich im Februar 1990 mit ihrer slowakischen Schwesterpartei zusammenschloß.

Statt dominanter Umweltparteien - viele regionale Gruppen

Die verbreiteten Sorgen um die Umwelt setzten sich jedoch nicht in Wählerstimmen um. Obwohl die Grünen nach Umfragen sechs bis zehn Prozent der Stimmen bekommen sollten, erhielten sie nur 3,4 Prozent. Sie sind jetzt nur im slowakischen Nationalrat mit drei Sitzen vertreten. Auch für Polen ist eher eine breite regionale Szene von Umweltgruppen charakteristisch als eine dominierende Umweltpartei. Die in den letzten Jahren ökologisch hervorgetretene „Wolnosc i Pokj“ (Freiheit und Frieden) hat an Einfluß verloren. Die im Dezember 1988 gegründete Grüne Partei blieb bedeutungslos immerhin stellt sie den neuen Bürgermeister von Krakau. Andererseits gibt es viele Initiativen, u.a. gegen das geplante AKW von Zarnowiec.

Der politische Umschwung in Osteuropa hat die Umweltprobleme neuerdings in den Hintergrund gedrängt. Der Aufbau demokratischer Institutionen, neu auftauchende Konfliktfronten, nationalistische und wirtschaftliche Themen sind auf die Titelseiten geraten. Aber dieses Zurücktreten ökologischer Fragen ist mit Sicherheit nur vorläufig. Die Situation bessert sich nicht von selbst. Allerdings werden es die ökologischen Bewegungen künftig mit neuen gesellschaftlichen Bedingungen zu tun haben. Die Erfahrung, daß kapitalistische Strukturen zwar effizienter, ohne äußeren Druck aber auch nicht sonderlich menschenfreundlich sind, muß noch gemacht werden.

Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze werden auch in Osteuropa gegen die Erhaltung der Überlebensbedingungen ausgespielt werden. Traditionell linke Hoffnungen sollte man hieran allerdings nicht knüpfen, solange die Erinnerung an den realen Sozialismus nicht vergangen ist. Auch lebensreformerische Strömungen haben wenig Chancen. Die Mehrheit der Bevölkerungen will aus dem unfreiwilligen Mangel hinaus, der Asketismus der Reichen ist ihnen fremd. Immerhin jedoch besteht über die ökologischen Bewegungen eine Chance zur Ausbildung einer aktiven politischen Kultur

-sofern sie nicht durch nationalistische Fanatismen wieder weggeschwemmt wird.