Pluri-national und multi-bürokratisch

■ Statt das erste „Grüne Parlament Europas“ zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung über unterschiedliche Positionen der Ost- und West-Grünen zu nutzen, übten Europas Grüne Anfang Juli in Straßburg Parlamentarismus

Aus Straßburg Ulrich Fuchs

„Ich verstehe nicht recht, worüber wir heute reden.“ Oleg Mihailovic Pocov aus der Sowjetunion ist der erste, der seinem Unmut Luft macht. Als einer von rund 150 Grünen aus Ost- und Westeuropa war Pocov vom 3. bis 5. Juli zum ersten „Grünen Parlament Europas“ nach Straßburg gekommen. Angesichts der historischen Entwicklungen des vergangenen Jahres sollte bei dieser gesamteuropäischen Konferenz neben klassischen grünen Themen wie Frieden und Abrüstung und Ökologie und Ökonomie auch die Frage nach Demokratie und Institutionen diskutiert werden.

Das von der Fraktion der Grünen im Europaparlament initiierte und organisierte Treffen wollte sich dabei schon als symbolischer Beitrag zu dieser Thematik verstehen. „Wir wollen eine Art gesamteuropäisches Parlament vorstellen“, so der italienische Fraktionsvorsitzende der Europagrünen, Alexander Langer. Das von den Veranstaltern vorgegebene grüne Selbstverständnis als „pluri-national, pluri-kulturell und nicht bürokratisch“ erwies sich dann aber bei diesem, wie es der Rumäne Maioresco formuliert, „Treffen von historischer Bedeutung“ zumindest im letzten Punkt als fragwürdig. Anhand von schon im Vorfeld erarbeiteten Resolutionen sollte die Diskussion der einzelnen Themenbereiche organisiert werden. Den streng durchparlamentarisierten Ablauf sicherte zudem eine Geschäftsordnung, die die Redezeit der erstmals zusammentreffenden Europagrünen auf vier Minuten begrenzte. Wer in den abschließenden Runden die Resolutionen verändert oder ergänzt haben wollte, mußte seinen Antrag in zwei Minuten formuliert haben. Eingezwängt in dieses Korsett hatten dann auch die meisten Diskussionsbeiträge reinen Statement-Charakter. Auseinandersetzungen fanden selbst dort nicht statt, wo Beobachter im Vorfeld des Treffens grüne Ost -West-Spannungen erwartet hatten.

So blieb eine inhaltlich geführte Nationalismus-Debatte ebenso aus, wie die Klärung der Frage, wie es die Ost-Grünen mit der Atomenergie halten. Zwar wird auch von rumänischer Seite keine, wie vorher gemutmaßt, Pro-Kernkraft-Position bezogen, aber ob das auch Konsens in der Ablehnung bedeutet, blieb offen.

Anstelle dieser konkreten Auseinandersetzungen wurde wenig inhaltlich ausformuliert schon beim Thema Demokratie und Institutionen die ganze Palette grüner Europavorstellungen dargeboten.Da sollen „Interventionsmöglichkeiten für Regierungen auf supranationaler Ebene“ geschaffen und im Gegensatz dazu die „Rolle der EG gestärkt“ werden; „in der Förderung regionalistischer Bestrebungen“ sehen die einen eine wichtige Aufgabe der Zukunft, während andere anstelle der EG gerne eine „KSZE-ähnliche Organisation“ aufbauen würden. Selbst Beiträge wie der von der Bulgarin Botusharova, die die „spezifische Aufgabe der Grünen in der Durchsetzung einer Umweltschutz-Gesetzgebung nach dem Vorbild der westlichen Länder“ sieht, blieben ohne Gegenrede.

„Wir sollten hier nicht EG spielen“

Nur vereinzelt gab es Ansätze, die Qualität der Diskussion zu verändern. Leo Cox aus Belgien forderte erst einmal eine „inhaltliche Diskussion über den Begriff „Föderalismus“, bevor der Ausbau föderalistischer Strukturen gefordert wird. Er blieb aber so ungehört wie der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Michael Vesper: „Wir sollten hier nicht EG spielen, mit schon vorgefaßten Resolutionen und langweiligem Procedere, sondern uns konkreten Themen zuwenden.“

Am zweiten Tag blieben dann auch viele Plätze im Plenarsaal unbesetzt, diskutiert wurde jetzt - vor der Tür. Während sich dort ein Vertreter aus der DDR über die „mangelnde Lust zur Diskussion“ nur wunderte, wurden andere deutlicher.

Der bundesdeutsche Europaabgeordnete Wilfried Telkämper ließ keinen Zweifel daran, daß seiner Meinung nach Teile der grünen Fraktion im Europaparlament von vorneherein gar kein Interesse an einer inhaltlichen Diskussion gehabt hätten. Die Form des Treffens sei von „Franzosen und Italienern, die mit Resolutionen Politik machen wollen, durchgedrückt worden“.

Für Telkämper ist damit die Möglichkeit vertan worden, die angesichts der Veränderungen in Osteuropa dringende Auseinandersetzung über grüne Ost-West-Differenzen zu führen, um darüber festzustellen, „ob etwas Gemeinsames möglich ist“.

EG-Parlamentarismus in Reinkultur

Fran?ois Bausch aus Belgien war schon bei Beginn der Veranstaltung „ziemlich schockiert“ gewesen, als Alexander Langer bekanntgegeben hatte, daß um „die Legitimität zu gewährleisten, nur Mandatsträger an Abstimmungen teilnehmen“ dürften. „Verarscht“ käme er sich vor, wenn er als Vertreter einer Initiative oder Basisbewegung, die tatsächlich nur spärlich nach Straßburg gereist waren, hierher gekommen wäre.

In die gleiche Richtung zielte auch die Kritik der bundesdeutschen Europaparlamentarierin Claudia Roth, die es „sehr, sehr traurig findet, daß bei dieser Veranstaltung der EG-Parlamentarismus in Reinkultur übernommen wurde. Unsere ganze Tradition der Parlamentarismuskritik und der Miteinbeziehung von Initiativen und Basisbewegungen ist hier auf der Strecke geblieben.“

Neben der Möglichkeit, es beim nächsten Mal besser zu machen - das „Grüne Parlament Europas“ will künftig einmal pro Jahr tagen -, blieb der Fußballexpertin zumindest ein Trost. Schon bei der Begrüßung war den Grünen Europas mitgeteilt worden, daß abends die Möglichkeit besteht, die Halbfinalspiele der Fußball-WM am Bildschirm zu verfolgen. Der zustimmende Beifall ließ auf eine gemeinsame Interessenlage zumindest in diesem konkreten Fall schließen.

Ulrich Fuchs ist Mitarbeiter der 'Freiburger Stadtzeitung‘