Anpassung und Widerstand

■ Zur Wahl Heiner Müllers zum Präsidenten der „Akademie der Künste“

Noch vor wenigen Wochen bekannte der Dramatiker öffentlich, er freue sich schon darauf, daß das Publikum von Müller -Stücken erst einmal genug haben werde. Jetzt hat er sich eine neue Aufgabe gesucht. Heiner Müller ließ sich zum Akademiepräsidenten wählen. In ersten Stellungnahmen äußerte er sein eigentliches Motiv für das Amt: die gegenwärtige „Schlammschlacht“ gegen Christa Wolf und andere DDR -Intellektuelle. Dies sei der Versuch, „den Überbau dieser DDR abzuräumen oder schlicht zu vernichten“. Gegen diese „Unterwerfung“ solle sich die seit einiger Zeit sprachlose Akademie „wieder in der Öffentlichkeit zurückmelden“. Dazu gehöre jedoch auch eine „Aufarbeitung der Geschichte von Anpassung und Widerstand“.

Nicht nur die Verwechslung von „Kritik“ mit „Vernichtung“ läßt Zweifel an diesem Vorhaben aufkommen. Wenn sich das Präsidium der Akademie am morgigen Freitag zu seiner ersten Sitzung trifft, wird auch der Vizepräsident Heiner Carow am Tisch sitzen, der jetzt dafür ist, daß die „Kunst unters Volk muß“. Über Jahrzehnte hinweg allerdings verhinderte das 100prozentig linientreue SED-Mitglied Carow, daß bestimmte Kunst unters Volk kam. Filme des hervorragenden Dokumentarfilmers Jürgen Böttcher etwa durften auf Veranstaltungen der Akademie nicht gezeigt werden. Stephan Hermlin, gleichfalls frischgebackener Vizepräsident, bekundete noch vor wenigen Tagen in West-Berlin seinen Unwillen, vierzig Jahre SED-Geschichte zwischen „Anpassung und Widerstand“ aufzuarbeiten. Im privaten Gespräch sagte er, die taz-Veröffentlichung der Stasi-Adressen fördere nur die deutsche Blockwartmentalität.

Heiner Müller selbst ist durch seine akrobatische Geschichtsphilosophie über allen Abgründen dieser Welt berühmt geworden. Auf der messerscharfen Kante zwischen scharfer Analyse und den Dum-Dum-Geschossen seiner Großbegriffe balanciert er das Drama zwischen Anpassung und Widerstand aus. Daß „Auschwitz der Altar des Kapitalismus“ sei und die Alternative zwischen Ost und West in der Wahl zwischen „zwei Bratwurstbuden“ bestehe, die sich allenfalls durch die Menge des Ketchup- oder Senfangebots unterscheiden, kann Müller-Fans nicht schockieren.

Die anderen aber kommen an der Frage nicht vorbei, wie denn die versprochene Reflexion der unrühmlichen Akademiegeschichte aussehen soll, wenn Müller zugleich den Fall des „Eisernen Vorhangs“ als „Zeitmauer“ beklagt: „Jetzt ist diese Bindung weg, und der Mensch ist der Maschinenwelt schutzlos ausgeliefert.“

Auch in dem kosmopolitischen Dramatiker lebt das DDR -Syndrom einer machtgeschützten Unbeirrbarkeit fort, die sich im Zweifel ganz nach innen zurückzieht: „Denken ist schuld“, sagt Heiner Müller, und: „Humanismus ist die Ideologie der Maschine.“ Hoffen wir, daß aus dieser alten Dialektik neue Aufklärung erwächst.

Reinhard Mohr