Arschtritt gegen Unbekannt

■ Aus „reiner Notwehr“ verkaufen die LPG-Bauern im ganzen Land ihre Ernte In Schönewalde bleiben voraussichtlich auf 100 Hektar die Kartoffeln im Boden

„Ich könnte die in den Arsch treten. Wir würden kaufen, und die nehmen euch nichts ab“, flucht eine Rentnerin mit deutlichem Blick nach oben und kauft zwei Beutel Kartoffeln. Appetitliche, große und feste Kartoffeln, wie sie die DDR -BürgerInnen bisher nur in Sternstunden in ihre Einkaufsnetze bekamen. „Kommt, ich nehme euch was ab, damit Ihr nicht baden geht“, ruft eine Frau im weißen Kittel, „das gibt heute Pellkartoffeln“, freut sich eine andere. Die BerlinerInnen kaufen Kartoffeln, Sorte Arkula, frisch vom Feld der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) Schönewalde im Kreis Herzberg auf die Berliner Schillingstraße gebracht und vom Laster aus angeboten. Den beiden Bauern bereitet es sichtlich Freude, ihre vom Handel geschmähte Ernte unters Volk zu bringen. „Gestern haben wir die Kartoffeln gerodet“, erzählen die Bauern, „heute früh um 5 Uhr in die Netze verpackt. Unsere LPG hat eine computergesteuerte Abpackanlage. Die muß sich doch rentieren. 6.30 Uhr sind wir losgefahren. Fünf Autos, nach Lutherstadt Wittenberg, Halle, Piesteritz, Vetschau und Berlin.“

Kurz nach 8 Uhr standen die Schönewalder mit etwa 1.000 Beuteln Kartoffeln im Berliner Zentrum. Vier Stunden später ist die Ladung verkauft. Trotz des guten Absatzes bleibt die Aktion nicht viel mehr als reine Notwehr. „Es kommt nichts raus dabei, bei dieser Kalkulation und dem Aufwand. Bisher hatte die LPG immer 1.300 Hektar Kartoffeln angebaut, in diesem Jahr nur etwa 800. 100, 150 Hektar werden wohl, trotz aller Verkaufsaktionen, im Boden bleiben. Wenn im Herbst der Preis weiter sinkt, lohnt sich für uns die Ernte nicht mehr.“ Die Schönewalder Bauern fahren ihre Kartoffeln jetzt bis ins Erzgebirge und in die Lausitz. Auch in Berlin waren sie schon mehrmals. Konkurrenzkampf der Produktionsgenossenschaften um den letzten Platz beim Zusammenbruch? Die LPG Schönewalde habe bisher immer gut dagestanden. Die Erträge waren nicht schlecht, und etwas Geld liegt noch „auf der Kante“. Doch, wenn jetzt auch die „Tierproduktion“ nichts mehr abnimmt, ist die Pleite abzusehen.

Die Regierung soll „dafür sorgen, daß es endlich besser wird“. Wie, das wissen sie auch nicht. In der Konsum -Kaufhalle gegenüber kostet der Zweieinhalb-Kilo-Beutel Kartoffeln 2,64 DM. Die Verkaufsstellenleiterin zuckt nur mit den Schultern. Den Preis schreibe der Großhandel vor, die Handelsspanne für den Konsum liege bei 37 Prozent. „Handel ist das hier keiner. Gegenüber früher hat sich eigentlich nichts verändert.“ Früher ließen sich die KundInnen noch mit einigen guten Worten vertrösten. Heute, „und das mit Recht“, wollen sie für ihr gutes Geld etwas sehen. Der naheliegende Schluß, als Konsum-Verkaufsstelle die Kartoffeln beim Bauern zu kaufen und billig anzubieten, ist der Verkaufsstellenleiterin auch verwehrt. Es sei denn, sie zahlt aus der eigenen Tasche. „Wenn wir privat wären, kein Problem. Aber so können wir einfach nicht auf den Markt reagieren. Von mir aus sollen die Bauern hier draußen jede Menge Stände aufmachen und ihre Ernte anbieten. Nur ein harter Konkurrenzdruck kann hier etwas ändern.“

Detlef Krell