Crashkurs gegen DDR-Bauern in der Erntezeit

■ LPG-Mitglieder fahren schon seit vergangenem Wochenende ihre Ernte in die Städte und verkaufen sie „aus reiner Notwehr“ auf der Straße. Ohne Sofortkredite geht gar nichts mehr - und die werden den Bauern von den Banken verweigert. Diese wollen zunächst klare Eigentumsverhältnisse. Nun springt die Regierung mit Finanzspritzen ein, doch das reicht bei weitem nicht hin.

Regierung de Maiziere rät Bauern zu „Eigeninitiative“

Die Landwirtschaft der DDR steht vor dem Kollaps. Gestern unterbrach Lothar de Maiziere seinen Urlaub, um in einer eilig einberufenen Kabinettssitzung, „die angespannte Situation im Lande schnell und wirksam zu behandeln“. Das jedenfalls versprach sein Regierungssprecher. Im Ergebnis sicherte die DDR-Regierung den Bauern gestern zusätzliche Kreditmillionen zu: Als Anpassungshilfen sollen für den Monat Juni zusätzlich zu den bereits vorgesehenen 500 Millionen DM weitere 300 Millionen bereitgestellt werden, im August noch einmal 400 Millionen. Rechnerisch beläuft sich der Finanzbedarf für die LPGs allein im Juli auf 1,3 Milliarden DM. Wie der Parlamentarische Staatssekretär Kauffold einräumen mußte, „sind die im Haushalt für die Jahre 1990 und 1991 angesetzten Mittel zur Stützung der DDR -Landwirtschaft deutlich zu niedrig angesetzt“. Darüberhinaus sind die bereitbestellten Gelder bislang nur teilweise an die LPGs ausbezahlt worden. Indes gab die Regierung de Maiziere den guten Rat, „Ihre finanziellen Problem eigenverantwortlich in die Hand zu nehmen“.

Nach 45 Jahren Mangelwirtschaft und Schlangestehen, wird Milch auf den Straßen und Plätzen der DDR gegossen, verrotten Obst und Gemüse. Die Absatzmärkte einer Landwirtschaft, die darauf gerichtet war, einen möglichst hohen Selbstversorgungsgrad zu erreichen und wegen der Devisenknappheit vom internationalen Agrarmarkt abgeschottet war, sind zusammengebrochen.

Selbstverständlich muß die Produktionspalette der DDR -Landwirtschaft verändert werden, sind Anpassungen notwendig. Nur eines haben die schnellen Strategen der schnellen deutschen Einheit dabei übersehen: Die Zeit der Ernte, ist die Zeit, in der die DM-Roßkur zur Katastrophe führen muß. Die Betriebsausgaben sind in dieser Zeit extrem hoch, die Erlöse noch nicht erzielt. Wird in dieser Zeit die finanzielle Liquidität der Betriebe nicht gesichert, so sind sie über Nacht bakrott. Vielleicht nicht ganz ohne Vorbedacht wurde ein Parteiloser, der Agrarwissenschaftler Peter Pollack, auf den Schleudersitz des DDR -Landwirtschaftsministers gehieft. In dieser Konstellation können sich alle Parteien mit Vorschlägen profilieren uns sich selbst aus der konkreten Verantwortung heraushalten.

Nach Angaben der PDS stehen ein Drittel der 7.000 LPGs stehen er PDS vor dem Konkurs, das kann den Verlust von 235.000 Arbeitsplätzen bedeuten. Die PDS ruft nach dem bereits einmal gescheiterten „Sondersteuer für Nahrungsmittel aus der BRD“. Sie sei „unverzüglich“ einzuführen. Da der DDR-Handel bekanntlich etwas großzügige Handelsspannen kalkuliert, um sein Mißmanagement zu finanzieren, sollen - laut PDS - wieder sogenannte „Höchstverbraucherpreise“ festgelegt werden. Der EVP (Einheitsverkaufspreis) soll damit also zu neuem Leben erweckt werden. Mit den Einnahmen aus der Sondersteuer will die PDS die Betriebe, die Nahrungsmittel verarbeiten, subventionieren. Weniger konkret drückt sich die SPD aus. Sie spricht vom „Zusammenbruch der DDR-Landwirtschaft in kürzester Frist“.

Demgegenüber sieht der Bonner Landwirtschaftsminister Kiechle alle Ursachen der Probleme vor denen die DDR-Bauern gegenwärtig stehen, in der „40jährigen verfehlten sozialistischen Agrarpolitik“. Kiechle steht für eine Politik, die den westdeutschen Bauern über Jahrzehnte hinweg, alle Anpassungsproblem durch Milliardensubventionen erleichterte. Statt nun Subventionen und Strukturprogramme für die Landwirtschaft der DDR vorzuschlagen und zu finanzieren hält Kiechle vor allem einen Tip parat: „Die Bauern sollen selbst initiativ werden und ihre Erzeugnisse direkt verkaufen.“

Ein Hauptproblem der DDR-Landwirte besteht darin, daß zwar aus der BRD Lebensmittel en gros importiert werden, umgekehrt aber bleibt den DDR-Bauern der Markt im Westen noch verschlossen. Bundes-Landwirtschaftsminister Kiechle will sich erst dann für eine Änderung der EG-Vorschriften sorgen, „wenn der Überdruck auf dem DDR-Markt weg ist“. Die Regierung der DDR drang gestern darauf, daß die Zollschranken zur EG unverzüglich und problemlos für DDR -Agrarprodukte werden.

G.A./asw