Das bayerische Wesen an sich

■ Weniger eine Filmkritik zu „Bavaria Blue“ von Jörg Bundschuh als vielmehr Bekenntnis und Anklage

Kritikern im allgemeinen, dieser Zeitung im speziellen und der Berlin-Kulturredaktion im allerspeziellsten wird nicht selten ein Hang zur Selbstdarstellung und Subjektivität vorgeworfen. Hiermit ergeht eine Warnung, dem sogleich ein höchst persönliches Bekenntnis folgen soll: Der Schreiber dieser Zeilen ist gebürtiger Franke!

Der bayerische Mensch an sich ist ja sehr musikalisch. Und derb zudem und mit Witz versehen. Diese hervorstechenden Eigenschaften verbinden sich in der bayerischen Tradition des Schnadahüpfl-Singens auf das allerglücklichste. Schnadahüpfl sind zweizeilige Schüttelreime, die in immer demselben melodischen Sprechgesang zu einem ewig gleichbleibenden Blasmusikorchester vorgetragen werden. „An Fehler gibt's in unserer Gmaa (Gemeinde): / Die Kergn (Kirche) is zu groß und des Wirtshaus zu klaa (klein).“ Dazu tröten die Trompeten und Tubas, daß es eine wahre Pracht ist. Ein Vergnügen, das eigentlich nur Nichtbayern verschlossen bleiben kann, ja sogar soll.

Wir Franken, die wir ja bekanntermaßen Preußen mit mildernden Umständen sind, seit uns der selige Herr Napoleon seinerzeit den Wittelsbachern schenkte, haben uns den nötigen Abstand bewahrt und sind doch weit genug in die bayerische Seele eingetaucht, um sie nach Herzenslust zu hassen („Freiheit für Franken!“). Nicht daß wir nicht bestimmte Errungenschaften des bayerischen Volkes zu schätzen wissen würden. Das Weißbier zum Beispiel eignet sich ganz hervorragend, um an heißen Sommertagen das Gehirn in einen wundervoll taumelnden Zustand zu versetzen (ja sogar mit der Weißwurst konnten sich einige von uns anfreunden, wenn auch nur wenige). Und genau dieser Zustand, auch wenn wir ihn zu passenden Gelegenheiten selbst gerne genießen, beschreibt das bayerische Wesen nur zu genau. Ein Wesen, das sich suhlt in seiner stumpfen Einfalt, das im Sitzen so tut, als sei es schwerelos, ein Wesen, das im Biergarten Berge samt Restwelt versetzt, aber ohne Maßkrug in der Hand seinen Arsch nur so weit hochkriegt, um ihn in einen BMW zu wuchten.

Bavaria Blue gibt vor, das bayerische Wesen in all seinen Facetten darstellen zu wollen. Insbesondere seine Verhaftung mit dem urbayerischen Volksgut. So taumelt die Geschichte über Wiesen und Dörfer, von einer Volksmusikveranstaltung zur nächsten und quält uns, die Zuschauer, mit allerlei gräßlicher Musike, die von üblicher Im-Krug-zum-grünen-Kranze-Beschallung bis zu den oben erwähnten Schnadahüpfl, dem Underground der Volksmusik, reicht. Diverse kleine Geschichten laufen parallel und werden hübsch miteinander verknüpft, aber der Streifen tröpfelt doch eher ereignislos und öde dahin, was natürlich auch wiederum zum oben beschriebenen bayerischen Wesen paßt, allerdings auch nur die herrschenden Vorurteile (denen ich mich gerne anschließe) bestätigt.

So könnte man Jörg Bundschuhs Reflektionsversuch glattweg vergessen, wären da nicht die Darsteller der bayerischen Urtypen, die ihre verknautschten Gesichter überaus beeindruckend durchs Zelluloid schieben.

Herbert Fux sogt nix, aber guckt böse und schief und ist sowieso gut, ebenso wie Alfred Edel als Volksmusikimpresario, der also das typische bayerische Großmaul markiert. Die wahre Entdeckung ist allerdings Sigmund Reindl als Vizeweltmeister im Schnadahüpfl-Singen. Außer beim Singen kriegt er seinen Mund nicht auf, guckt immer wie der Dackel Waldi in die Botanik und gibt sich auch sonst alle Mühe, den naiv-derben Charme des Klischeebayern zu verbreiten. Eine dramatische schauspielerische Leistung, auch wenn ich mir sicher bin, daß Herr Reindl selbst im wirklichen Leben so ist.

Uns als Franken darf dieser Film nicht genügen, denn dazu ist er eindeutig nicht böse genug, wir halten es da eher mit den Meisterwerken eines Herbert Achternbusch, an die Bavaria Blue nur selten heranreicht. Die besten Filme allerdings, die je über das Bayernland und den obskuren Menschenschlag, der dort lebt, gedreht worden sind, sind ohne Zweifel die Ludwig-Thoma-Verfilmungen aus den Sechzigern, die in ihrer Selbstdarstellung den grandiosen Durchbruch zur Selbstentlarvung und Selbstverarsche schaffen.

Thomas Winkler

Bavaria Blue, ein Film von Jörg Bundschuh. Mit Alfred Edel, Herbert Fux, Andy Geer, Siegmund Reindl, Juliette Marischka u.a. Um 18.15, 20.30 und 22.45 Uhr in der Lupe 1.