Uni-Institut will APO-Akten vom Verfassungsschutz

■ Nicht nur die AL will 65 Akten vom Verfassungsschutz: Ein Forschungsinstitut der Uni fordert Ordner von ehemaligen APO-AktivistInnen / Über zwanzig damalige Polit-AvantgardistInnen haben schon mal in die geheimen Berichte hineingeguckt

Wilmersdorf. Immer mehr Menschen wollen „ihre“ Verfassungsschutzakten. Nicht nur die Alternative Liste kämpft um die Herausgabe von 65 Akten, auch das „Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung“ will Personenakten von etwa siebenhundert ehemaligen APO -AktivistInnen bekommen. Die Abteilung „APO/Soziale Bewegungen“ des Instituts an der Freien Universität hatte vor vier Jahren in Frankfurt das Bundesarchiv des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) erworben. Die Verfassungsschutzakten würden das Archiv über die Ära der außerparlamentarischen Opposition vervollständigen. Im Frühjahr dieses Jahres warfen erstmals über zwanzig ehemalige APO-AktivistInnen einen Blick in ihre Personenakten. Dort wimmelt es nur so von Fehlern und Ungereimtheiten.

Eine aus der unbekannten Anzahl von Akten über die APO enthält 90 Seiten. Es ist die heimlich angelegte Datensammlung über Jochen Staadt, damals Hochschulaktivist, heute Mitarbeiter im Zentralinstitut. In Staadts Akte sind ein Drittel der Seiten weiß. Ein kleiner Vermerk erklärt „Andere Dienste“: Westdeutsche Verfassungsschutzämter, der Militärische Abschirmdienst und die Alliierten haben eine Akteneinsicht in das von ihnen zusammengetragene Material nicht erlaubt. Auf den restlichen Seiten sind die Namen der Personen, die in irgendeinem Zusammenhang erwähnt werden, vom Berliner Landesamt für Verfassungsschutz geschwärzt worden.

Dennoch, was für Staadt zum Lesen übrigbleibt, ist dann nicht einmal die Wahrheit. Zum Beispiel wird Staadt seit einer Streikveranstaltung der Germanisten in den VS-Papieren als UStA-Funktionär geführt, nur weil er auf dieser Veranstaltung von einem Kommilitonen als Funtionär beschimpft worden war. Und noch 1978 katalogisierten die Datensammler aus Dahlem ihn als K-Gruppen-Mitglied, obwohl der Beobachtete '73 aus dem Politklüngel ausgetreten war und sich seitdem mit den ehemaligen Genossen „nur noch gestritten hat“. Bei einem anderen Ex-Aktivisten notierten akribische VS-Mitarbeiter noch Ende der siebziger Jahre, daß Günther Mitglied im Vorstand der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen war. Die VS-Männer vermuteten wohl, daß der frühere SDSler die Gewerkschaft unterwandern wolle.

„Wir hatten damals recht“, resümiert Staadt heute, „als wir vermuteten, daß die Berufsverbote auf Unsinn und Willkür einer Geheimdienstbehörde beruhen. Hätte ich damals Lehrer werden wollen, ich wäre abgelehnt worden.“

Der größte Hammer in den APO-Dateien: Schon Mitte '66 berichten die getarnten Staatsschnüffler, daß die außerparlamentarische Bewegung über den bewaffneten Widerstand diskutiere. Doch in der APO wurde sich erst nach dem 2. Juni '67, dem Tag, an dem der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen wurde, über einen bewaffneten Widerstand auseinandergesetzt. Staadt vermutet, daß '66 die Bewegung für staatliche Spitzelaktionen zuwenig hergegeben habe. Die „freien Mitarbeiter“ des Verfassungsschutzes wären möglicherweise arbeitslos geworden, das Amt selbst wäre in eine Legitimationskrise gekommen, hätte nicht eine Bedrohung für den Staat ausgemacht werden können. Und wenn auch jeder vom Lügen kurze Beine bekommt, Männer in Lodenmänteln werden nicht kleiner, wenn sie nicht die Wahrheit sagen - eine Kontrolle der zu 100 Prozent subventionierten Denunzianten müssen sich parlamentarische Untersuchungsausschüsse schwer erkämpfen.

Doch wie der Verfassungsschutz gearbeitet hat, interessiert die drei Mitarbeiter der Abteilung „APO/ Soziale Bewegungen“ allerdings weniger. Sie erforschen, welche politische Bedeutung die APO hatte (siehe auch nebenstehenden Kasten) und auch welchen Werdegang die Widerständler mit Intellekt genommen haben. Von den VS-Akten erhoffen sie sich weitere Aufschlüsse. Bisher hat das von der VW-Stiftung geförderte Forschungsprojekt feststellen können, daß jene, die bis 1960 außerparlamentarisch aktiv waren, häufig in die Gewerkschaften, zu den Sozialdemokraten und in die Komunalpolitik gegangen sind. Nach 1960, als die SPD mit dem SDS endgültig gebrochen hatte, gingen weniger in die Politik, viele dafür in die Medien - zu Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen - oder etablierten sich als Professoren an den Universitäten.

Doch das Amt in Dahlem will die Akten nicht herausgeben. Ein Sprecher begründet die Zurückhaltung genauso wie bei den 65 Akten der Alternativen Liste: Es gebe kein Landesarchivgesetz und damit keine gesetzliche Grundlage, die die Nutzung der Akten regeln würde. Bis ein Landesarchivgesetz verabschiedet wird, werde in den Akten nichts verändert, verspricht der VS-Mitarbeiter. Übrigens: Es gibt auch kein Berliner Verfassungsschutzgesetz - wie die Staatsschnüffler die in den Akten gesammelten Daten verwenden dürfen, ist nicht geregelt. Die amtlichen Anschwärzer benutzen das gesammelte Wissen selbstverständlich auch ohne Rechtsgrundlage.

Dirk Wildt