500.000 mit Kurzarbeit

■ Statistisches Amt legte erstmals ausführliche DDR-Zahlen vor: Arbeitsmarkt, Umwelt, Bevölkerung

Mit der DDR-Statistik auf Du und Du

Ost-Berlin (taz) - Die Arbeitslosenzahl in der DDR ist bis Mitte Juli auf 223.876 gestiegen. Jede Woche melden sich 30.000 bis 40.000 DDR-Bürger arbeitslos. Die Arbeitslosenquote hat 2,5 Prozent erreicht; Ende Juni waren 142.000 DDR-Bürger offiziell arbeitslos.

Dem Ministerium für Arbeit und Soziales liegen seit dem 1. Juli 500.000 Anträge auf Kurzarbeit vor. Ministerin Regine Hildebrandt warnte davor, Beschäftigte zu entlassen, die bald wieder benötigt würden. Das Kurzarbeitergeld soll helfen, die momentane „Phase der Unsicherheit abzupuffern“, so Hildebrandt.

Die Industrieproduktion der DDR-Betriebe ging bis Ende Juni 1990 um 7,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurück. Das gab das Statistische Amt der DDR am Donnerstag in Ost-Berlin auf seiner ersten großen Pressekonferenz bekannt. Der Produktivitätsrückgang verstärkte sich im Juni noch: Pro Arbeitstag wurden 15,1 Prozent weniger Güter im Vergleich zum Juni 1989 hergestellt. Die Lebensmittelindustrie hat sogar 23 Prozent weniger produziert als im Vorjahr. Die Entwicklung sei aber keineswegs einheitlich. Über 1.000 Betriebe konnten ihr Produktionsniveau halten oder steigern.

Importe aus dem westlichen Ausland sind im Vergleich zum Vorjahr um 17,1 Prozent gestiegen. Hauptsächlich Nahrungs und Genußmittel wurden in der Bundesrepublik eingekauft. Amtsleiter Arno Donda spricht von einem „aufgestauten Konsumbedürfnis“ der DDR-Bürger. Der Importüberschuß der DDR beträgt 3,2 Milliarden Mark „Valuta-Gegenwert“, gleichzusetzen mit D-Mark.

Die Lebenshaltungskosten der privaten Haushalte verringerten sich um 12,1 Prozent. DDR-Produkte seien im Vergleich zum Juni 1989 wesenlich billiger geworden, begründete Donda. Während sich die Ausgaben für Lebensmittel erhöht haben, wurden technische Geräte wie Fernsehapparate und Radiogeräte billiger.

Die DDR-Industrie hat noch Aufträge für drei bis vier Monate. Genaue Angaben zur Auftragslage der DDR-Unternehmen konnte das Statistische Amt der DDR nicht machen, weil ein Teil der Betriebe statistische Angaben für den Monat Juni in Ost-Mark angegeben hat, der andere Teil in D-Mark.

Die DDR-Statistik wird laut Staatsvertrag ab Juli 1990 nach derselben Methode wie die bundesrepublikanische Statistik erstellt. Repräsentative Angaben werden die monatliche Befragung aller DDR-Betriebe ablösen. Kleinere Betriebe mit weniger als 20 Angestellten, brauchen an der Befragung nicht mehr teilzunehmen.

Zum ersten Mal wurden Auswanderungszahlen von DDR-Bürgern bekannt gegeben: 1989 verließen 297.000 DDR-BürgerInnen das Land. Bis Ende Mai 1990 sind weitere 174.000 Menschen aus der DDR ausgewandert.

Unbekannt war bisher auch der Anteil von ausländischer BürgerInnen. Mit 191.000 ist er niedriger als der Anteil in West-Berlin. Die Selbstmordrate in der DDR galt bisher als besonders hoch, wurde aber wie in allen Ostblock-Ländern nie veröffentlicht. 1989 war die Selbstmordrate in der DDR mit 26 pro 100.000 Einwohner die niedrigste seit dem Ende des zweiten Weltkrieges. In der Bundesrepublik gab es 17,6 Selbstmorde pro 100.000 Einwohner.

Frappierende Zahlen legte das Amt für Statistik der DDR zur Schadstoffbelastung der Luft und zum Thema Waldsterben vor. So sind im Bezirk Leipzig 97 Prozent aller Kiefern, 85 Prozent der Fichten und 65 Prozent der Eichen erkrankt. Die Waldschäden in der gesamten DDR liegen zwischen 60 und 80 Prozent.

Karin Mayer