Weltbank: Afrika wird seit Jahrzehnten betrogen

■ Eine Studie belegt, daß die Exkolonien bis heute stark überteuerte Preise für Produkte aus ihren ehemaligen „Mutterländern“ bezahlen

Von Thomas Siepelmeyer

Seit Jahren wogt der Streit um die Frage, ob die ungeheure Verschuldung des afrikanischen Kontinents (1987: 220 Milliarden Dollar) eine Folge des „bad government“, der schlechten Regierung und der Korruption afrikanischer Potentaten ist, oder ob die Einflüsse der Integration Afrikas in den Weltmarkt und der Preisverfall für Rohstoffe die Malaise verursacht haben. Von der Weltbank kommt jetzt eine Antwort aus ganz unerwarteter Richtung. Alexander J.Yeats, der führende Ökonom im International Economics Department der Weltbank, hat in seiner Studie Do African Countries Pay More for Imports? Yes die Preise der Eisen und Stahlexporte Frankreichs in seine ehemaligen Kolonialgebiete von 1962 bis 1987 untersucht und kommt zu dem Ergebnis: Die Importe waren erheblich überteuert.

Im Juni-Heft der Weltbank-Zeitschrift 'Finanzierung & Entwicklung‘ ist eine Zusammenfassung der Studie vorab publiziert. Yeats kommt nach Analyse der Preise, die die 20 ehemaligen Kolonien an französische Exporteure für Eisen und Stahlerzeugnisse zahlen mußten, zu der Feststellung, daß sie im Durchschnitt 23 Prozent mehr für diese Waren bezahlen mußten als andere Länder, die die französischen Produkte bezogen.

Allein der kumulierte überzahlte Wert dieser einzelnen Lieferungen bis 1987 beträgt zwei Milliarden US-Dollar, soviel wie die gemeinsame Verschuldung von Burkina Faso, der Zentralafrikanischen Republik, des Tschad und Mauritius. Die Weltbank hat eine Datenbank errichtet, in der Daten über bilaterale Handelsströme zwischen mehr als 100 Industrie und Entwicklungsländern seit 1962 erfaßt werden und sogar Export- und Importpreise für gut abgegrenzte Produkte abgerufen werden können.

Nach den auch für sie überraschenden Feststellung untersuchte die Weltbank auch die Lieferungen Großbritanniens, Belgiens und Portugals an ihre jeweiligen ehemaligen Kolonialgebiete, ebenfalls vorerst nur auf dem Eisen- und Stahlsektor. Das Ergebnis ähnelt frappant jenem für die ehemaligen französischen Kolonien: Großbritannien nahm etwa 20 Prozent mehr bei Bestellungen aus seinen Kolonien, Belgien 23 und Portugal bis zu 120 Prozent mehr aus Angola und Mosambik.

Drei Gründe führt die Weltbank für diesen Betrug an der afrikanischen Bevölkerung an: Es gibt nur wenige Importeure in diese Staaten, die deshalb auch die Preise bestimmen können.

Die Kontakte zu anderen Handelspartnern außerhalb der ehemaligen „Mutter„-Länder sind beschränkt, somit herrscht kein Wettbewerb. Und: Die Märkte der meisten afrikanischen Länder sind so klein, daß sich diese Länder keine ausgedehnten Handelskontakte leisten können.

Als Entschuldigung für die überhöhten Preise wird von den Firmen häufig das vergleichsweise höhere Risiko bei Geschäften in Afrika genannt. Aber das wird den meisten durch staatliche Versicherungen, wie z.B. in der Bundesrepublik die Hermes-Versicherung, ohnehin abgenommen.

Aus diesen Überlegungen resultieren weitere. Yeats stellt die Frage, ob es unter diesen Voraussetzungen überhaupt irgendeinen Nutzen für Afrika aus dem Welthandel gebe, und verneint sie im wesentlichen. Die verstärkte Integration der Entwicklungsländer in den Welthandel wird ja von den Marktwirtschaftlern aller Couleur als Allheilmittel für die Probleme dieser Länder angepriesen. Aufgrund der überraschenden Ergebnisse für den Eisen- und Stahlsektor der vier untersuchten Exportländer will die Weltbank diese Studien auf weitere Länder und Produktgruppen ausdehnen.

Weitere wichtige Exportländer sind vor allem die USA, die Bundesrepublik und Japan, die höchstwahrscheinlich ähnliche Praktiken pflegen.

Kolonialzuschlag so hoch

wie Gesamtverschuldung

Zwar ist die nachfolgende Kalkulation nicht Bestandteil der Weltbank-Studie. Aber grob überschlägig läßt sich aus diesen ersten bekanntgewordenen Zahlen schon jetzt absehen, daß die überteuerten Importpreise aus den ehemaligen „Mutterländern“ in den letzten drei Jahrzehnten durchaus in die Nähe der afrikanischen Gesamtverschuldung geraten. Nach Weltbank -Angaben importierten die Länder (ohne Südafrika) zwischen 1968 und 1987 Waren für etwa 750 Milliarden Dollar; von 1962 bis '67 dürften es kaum mehr als 20 Milliarden Dollar gewesen sein. Der Gegenwartswert (1987) der Importe beträgt dann rund 1,6 Billionen Dollar. Falls auch nur die Hälfte der Bezüge aus den ehemaligen „Mutterländern“ stammen würden und der Kolonialzuschlag von 23 Prozent für alle Waren gälte, käme eine Mehrzahlung von rund 200 Milliarden Dollar zustande - und die entspricht der Summe der Auslandsverschuldung Afrikas.

Der Autor ist Mitglied des Akafrik (Arbeitskreis Afrika) in Münster.