KP-Zeitung zu Bologna: Weiße Seite 1

■ Harsche Kommentare in der italienischen Presse nach dem Urteil des Berufungsgerichts von Bologna, das Rechtsextreme freisprach / Eine Begründung des Gerichts wird erst nach Monaten folgen

Rom (taz) - Mit Entsetzen haben Italiens Medien und die Hinterbliebenenverbände der Opfer von Bombenattentaten der vergangenen 20 Jahre auf die Freisprüche des Prozesses um den Anschlag auf den Bahnhof von Bologna reagiert. Damals waren 85 Menschen ums Leben gekommen und über 200 verletzt worden.

Von einer „nationalen Schande“ spricht der Verband der „Opfer von Bologna“, Italiens größte Tageszeitungen machten am Donnerstag mit Schlagzeilen auf wie „Bologna: das Blutbad verschwindet“ ('Il Messaggero‘), „Massaker ausgelöscht“ ('La Repubblica‘) „Massenmord ohne Verantwortliche“ ('Il Popolo‘). Die kommunistische Parteizeitung 'l'Unita‘ erschien mit einer vollkommen weißen, unbedruckten ersten Seite als Zeichen der Empörung.

Das Bologner Berufungsgericht hatte am Mittwoch die lebenslänglichen Urteile gegen vier italienische Rechtsextremtisten aufgehoben. Zwei von ihnen wurden allerdings wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung zu 13 und zwölf Jahren Haft verurteilt. Auch der 1988 in Abwesenheit zu zehn Jahren Haft verurteilte Licio Gelli, Großmeister der Geheimloge „Propaganda 2“ (P2), der als Drahtzieher des Attentats galt, kam mit einem Freispruch davon.

Inzwischen herrscht weiter Rätselraten um die Urteilsbegründung: Sie wird erst in einigen Monaten vorliegen. Da es in Italien keine gründliche Begründung während der Verkündigung gibt, müssen die ItalienerInnen bis dahin warten, um zu erfahren, ob die Jury an den Lebenslänglich-Urteilen der ersten Instanz lediglich formale Fehler oder aber den Mangel an ausreichenden Beweisen zu rügen hatte.

In diesem Kontext bemängelte der 'Corriere della Sera‘ in einem gestrigen Leitartikel auf der Seite 1 die Verschleppung des gesamten Verfahrens: „Die Ermittlungen dauerten ungefähr sechs Jahre, der erste Urteilsspruch erfolgte acht Jahre nach dem Blutbad und die Berufung ist jetzt nach zehn Jahren abgeschlossen... Die Wahrheit rückt damit allemal in immer weitere Ferne.“

Mit dem Berufungsurteil wurde erreicht, daß alle wegen diverser Bombenattentate verurteilte Rechtsextremisten wenn nicht auf freiem Fuß, dann zumindest von der Mordanklage freigesprochen sind. Der erste Anschlag aus dem neofaschistischen Lager in Mailand 1969 kostete 16 Menschen das Leben. 1974 kamen bei einem Bombenanschlag auf einer Gewerkschaftsversammlung in Brescia sechs Menschen um. Beim Bombenanschlag auf den Italicus-Zug 1974 gab es zwölf Tote, 1980 in Bologna 85 Menschen und beim Attentat Neapel-Mailand 1984 kamen 16 Menschen um. Nach wie vor geht man davon aus, daß besonders das folgenschwere Bologna-Attentat geplant war, um das Klima für einen Staatsstreich zu kreieren.

Werner Raith/AS