„Ungewöhnliche Wetterlage“ im Straubinger Knast

■ Untersuchungsausschuß zu Medikamentenmißbrauch in der JVA Straubing legt Abschlußbericht vor / Ausschußvorsitzender der CSU räumt Mißstände ein / Opposition fordert Rücktritt der Justizministerin und die Absetzung des Anstaltsleiters und -arztes

Aus München Luitgard Koch

Nervös wickelt die bayerische Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner immer wieder eine Papierserviette um ihren Finger. „Ja, wir halten an Herrn Otto als Anstaltsleiter fest“, erklärt sie den Journalisten vor dem Plenarsaal des Bayerischen Landtags. Hans-Joachim Otto ist der umstrittene Leiter von Bayerns größtem Knast, der JVA Straubing. Die Zustände dort sind durch Zwangsbehandlung der Gefangenen mit lebensgefährlichen Psychopharmaka gekennzeichnet (s. taz v. 14.7.). Anfang des Jahres machte eine mysteriöse Selbstmordwelle Schlagzeilen. Daraufhin setzte die Opposition einen Untersuchungsausschuß im Landtag durch. Während die Mitglieder des Ausschusses am Mittwoch fast drei Stunden lang über den Abschlußbericht debattierten, meldete sich die verantwortliche Justizministerin selbst nicht zu Wort. Im buntgeblümten Sommerkostüm machte sie den Journalisten freilich nach der Debatte klar, daß der Untersuchungsausschuß eben nur gezeigt habe, daß an den Vorwürfen nichts dran sei. Damit tut sich Bayerns „Eiserne Lady“ freilich nicht mehr ganz so leicht. Denn zur Überraschung der Regierungspartei wich der stellvertretende CSU-Fraktionschef und Vorsitzende der Untersuchungsausschusses, Herrmann Leeb, vom bereits vorgelegten Bericht ab. Plötzlich übte selbst Leeb Kritik am Vorgehen des Anstaltsleiters und fand die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft über die Ursache der Selbstmorde „äußerst dürftig“.

Ein Thema des Untersuchungsausschusses war nämlich, daß Otto die von den Gefangenen gewählten Insassenvertreter einfach absetzte, weil sie die Zustände in dem Gefängnis anprangerten. „Das gebotene rechtliche Gehör fand nicht statt“, bemängelte Leeb vor dem Landtagsplenum die selbstherrliche Vorgehensweise Ottos. Der Anstaltsleiter hätte den abgesetzten Beiräten zumindest die Gründe dafür mitteilen müssen. „Es kann nicht alles durchgehen, was uns zu Ohren gekommen ist“, war selbst dem CSUler klar. Bei einer Zellenkontrolle wurde z.B. sogar die Anwaltspost beschlagnahmt.

„Unangenehm“ fiel Leeb auch auf, daß der Anstaltsleiter Otto bei seiner Zeugenvernahme vor dem Ausschuß nur auszugsweise aus dem Schreiben eines Gefangenen zitierte, um ihm damit „renitentes Verhalten“ unterstellen zu können. „Ein Bild, das nicht schön ist“, äußerte sich Leeb verhalten. Sogar eine „Entzerrung“ des Straubinger Knasts, dort sind hauptsächlich Lebenslängliche inhaftiert, schlug der Abgeordnete vor.

Herbere Kritik an dem umstrittenen Leiter äußerten freilich die Grünen sowie die SPD. Der stellvertretende Ausschußvorsitzende Sepp Klasen (SPD) wies darauf hin, daß Otto bereits als stellvertretender Leiter der JVA Nürnberg ins Kreuzfeuer der Kritik geraten war. Damals wurde bekannt, daß Häftlinge nackt in sogenannte Beruhigungszellen gesperrt und außerdem mit Heiß- und Kaltluft malträtiert wurden. Otto war es auch, der sich bei einer Anhörung im Rechtsausschuß des Bundestages dagegen aussprach, daß Gefangene für ihre Arbeit tariflich angemessen bezahlt werden. Sein Argument: Der Strafvollzug dürfe nicht erstrebenswert werden.

Aber auch der Anstaltsarzt Thomas Schwarz, der für die Zwangsbehandlungen verantwortlich ist, kam nicht ungeschoren davon. Leeb bescheinigte ihm immerhin mangelnde Kompromißbereitschaft und Flexibilität bei der Behandlung seiner Patienten. „Der Arzt war zu sehr davon überzeugt, daß seine Meinung zu gelten hat.“ In drei Fällen, so sagte der Ausschußvorsitzende, sei die Weiterbehandlung mit dem Neuroleptikum „Leponex“ nicht ganz hasenrein gewesen . Das Neuroleptikum ist im offenen Handel wegen seiner lebensgefährlichen Nebenwirkungen nicht erhältlich. Schon 1975 kam es bei der Anwendung des Psychopharmakums von der Nürnberger Firma Wander, einer Tochterfirma vom Schweizer Chemiekonzern Sandoz, zu mehreren Todesfällen. Bei der Überprüfung wurde nämlich übersehen, daß das Mittel die Blutzellen schädigt und die Immunabwehr schwächt.

Wie die Realität hinter Gittern jedoch wirklich aussah, machte erst wieder der Brief eines Gefangenen an den SPD -Abgeordneten Klasen klar. „Es wurde nur dann zwangsbehandelt, wenn die Patienten nicht einsichtig waren“, schrieb ihm ein Häftling, um damit den Gefängnisarzt zu entlasten. Bei dem ausgeklügelten Denunziations- und Sanktionssystem in der JVA, das der Oetker-Entführer Dieter Zlof vor dem Untersuchungsausschuß beschrieb, wird verständlich, warum Gefangene solche Briefe schreiben. Zlof war es auch, der die Massenpetition von über 300 Gefangenen an den Landtag formuliert hatte. Danach wurde er mit der Begründung, er plane eine „Gefangenenrevolte“, in die JVA Kaisheim verlegt. Vor dem Untersuchungsausschuß wies der hochintelligente und streitbare Betriebswirt eher nebenbei auf Unterschlagungen bei der Lebensmittelabrechnung hin.

Auch der illegale Handel mit dem gefährlichen Neuroleptika innerhalb des Knasts wurde durch den Untersuchungsausschuß bestätigt. Dieser Handel sei jetzt abgestellt, behauptete Leeb. Demgegenüber forderte die grüne Landtagsabgeordnete Marianne Rothe, den Gefängnisarzt und den Anstaltsleiter „umgehend abzusetzen“. Doch nicht nur der Straubinger Anstaltsleiter und sein Anstaltsarzt sollen gehen, auch die Ministerin Berghofer-Weichner wurde von der SPD zum Rücktritt aufgefordert. Die jedoch verteidigt ihre zynische Bemerkung, nach der die mysteriöse Selbstmordwelle in Straubing durch die „ungewöhnliche Wetterlage ausgelöst wurde“ und auf keinen Fall auf den Medikamentenmißbrauch zurückzuführen sei, nach wie vor. Begründung: „Das kann man doch in jeder wissenschaftlichen Zeitschrift nachlesen, daß das Wetter am Selbstmord schuld sein kann.“