DDR-Energiekonzept: Konzerne ante portas

■ Die Volkskammer entscheidet heute über die Energiezukunft / Regierung will nur Kosmetik

Berlin (taz) - Trotz des gegenwärtigen „kartellrechtlichen Budenzaubers“ wird die Energiewirtschaft der DDR in die Hände der führenden westdeutschen Stromkonzerne übergehen. Dabei wird das erstarrte und ökologisch ineffiziente Energiesystem der Bundesrepublik in seiner Substanz auf das Gebiet der heutigen DDR ausgeweitet. Diese Befürchtung äußerte der Westberliner FU-Professor Martin Jänicke nach einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses der Volkskammer.

Der Ausschuß, der unter anderem Jänicke als Sachverständigen gehört hatte, stellte am Mittwoch die Weichen für die Debatte in der heutigen Volkskammersitzung. Mit einer überwältigenden Mehrheit im Plenum ist dabei für einen ursprünglich von der Liberalen Fraktion formulierten Antrag zu rechnen. Darin wird die Regierung aufgefordert, die DDR-Treuhandanstalt auf Verhandlungen „mit allen interessierten Elektrizitätsunternehmen der Bundesrepublik“ zu verpflichten. Der Antrag wurde im Wirtschaftsausschuß bei einer Enthaltung des Bündnis 90/Grüne-Vertreters angenommen.

Auch der zuständige Staatssekretär im Umweltministerium, Pautz, zeigte sich schließlich mit der Formulierung einverstanden. Zuvor hatte der Ausschußvorsitzende Steinecke (Liberale) gegenüber Pautz mit einer „Regierungskrise“ gedroht, falls Umweltminister Karl-Hermann Steinberg (CDU) seine Unterschrift gegen den Willen der Volkskammermehrheit unter den mit den bundesdeutschen Energieriesen RWE, PreussenElektra und Bayernwerke ausgehandelten Vertrag setze.

Der Wirtschaftsausschuß befürwortete in der Sitzung außerdem die Einberufung einer Enquete-Kommission zur Entwicklung eines Energiekonzepts für die DDR. Ein SPD -Antrag, in dem „allgemeine Leitlinien“ für ein solches Konzept festgeklopft werden sollten, wurde mit großer Mehrheit abgebügelt. Jänicke betonte vor den Ausschußmitgliedern, es gebe keinerlei Anlaß, die Verhandlungen mit den Westfirmen unter hohem Zeitdruck zu führen. Die Behauptung Steinbergs, ohne die Verträge mit den Westkonzernen würden im Winter die Lichter ausgehen hält er für demagogisch, weil der DDR-Stromverbrauch im Juni bereits um 15 Prozent unter dem Vorjahreswert gelegen habe. Der eigentliche Einbruch im Verbrauch stehe noch bevor, wenn in vor allem in der Schwerindustrie zahlreiche Betriebe stillgelegt werden müssen. Selbst bei raschem Wiederanstieg werde der Stromverbrauch von 1988/89 erst im Jahr 2000 wieder erreicht.

Jänicke hält den Lösungsvorschlag der drei Westkonzerne zur Sanierung der DDR-Energiewirtschaft für den „teuerstmöglichen“. Die Kombinate seien auch nicht unbedingt auf das Kapital der Stromriesen angewiesen, sondern könnten zur Kraftwerksmodernisierung auch auf den normalen Kapitalmarkt ausweichen oder über „Anlagen-Leasing“ und sogenannte Betreibermodelle - dabei treten die Kraftwerksbauer auch als Betreiber ihrer Anlagen auf - zur Erneuerung ihres Kraftwerksparks kommen. Für ein modernes, effizientes und damit ökologisches Energiesystem müssen sich, so Jänicke, die Kommunen zur Einrichtung eigener Stadtwerke entschließen. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Lösung seien mit der Verabschiedung des sogenannten Kommunalvermögensgesetzes bereits geschaffen. Die Westkonzerne können daran kein Interesse haben, weil dieses Konzept zu einem Schrumpfen des Energiemarkts führen würde.

Gerd Rosenkranz