Rasanter Zulauf zu Rechtsextremisten

■ Bundesinnenminister Schäuble stellte Verfassungschutz-Bericht '89 vor / Neue Landesämter in der DDR beschlossene Sache / PDS wird Ziel der Lauscher / Krise bei den orthodoxen Kommunisten

Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) - Nach dem Umbruch in der DDR und in Osteuropa soll der Verfassungschutz nicht weniger, sondern neue Aufgaben erhalten. Im Visier der Verfassungschützer sind nun die Organisierte Kriminalität, der internationale Drogenhandel und der Waffenhandel. Nach dem Willen des Bonner Innenministers soll der drohende Legitimationsverlust der Sicherheitsbehörde durch das Engagement auf diesen neuen Feldern wettgemacht werden.

Zwar haben Verfassungsschützer im letzten Jahr beobachtet, daß der rasante Verfall des real-existierenden Sozialismus den „orthodoxen Kommunismus“ in der Bundesrepublik geschwächt hat, auf die anderen linksextremistischen Gruppierungen soll dies aber kaum Einfluß gehabt haben. So steht es jedenfalls im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1989, den Bundesinnenminister Schäuble gestern in Bonn vorstellte.

Das bemerkenswerteste Ergebnis im Bericht der Bundesbehörde ist indes ein rapider Anstieg der Mitglieder in der rechtsextremistischen Szene. Von DVU und NPD bis zur neonazistischen FAP ist die Zahl der organisierten Mitglieder im Vergleich zum Vorjahr um 27 Prozent auf knapp 40.000 gestiegen. Die „Republikaner“ sind dabei nicht berücksichtigt - im Gegensatz zur Praxis in drei Bundesländern werden sie auf Bundesebene beim Verfassungsschutz noch nicht als verfassungsfeindliche Organisation eingestuft.

Während die DKP durch die Ereignisse in der DDR in eine tiefe Sinnkrise gestürzt wurde, fühlten sich die Rechtsextremisten „dadurch in ihren deutschlandpolitischen Vorhaben bestärkt“. Den 103 von Rechtsextremisten verübten Gewalttaten stünden aber 837 Straftaten von Linksextremisten gegenüber. Im Gegensatz zur Grünen Fraktionssprecherin Antje Vollmer, die das Ende des politisch motivierten Terrorismus verkündet hat, halten die Verfassungsschützer an dem Bedrohungspotential RAF fest. Der Mord an Alfred Herrhausen im November 1989 zeige, daß der „Kommandobereich der RAF unbeirrt an seinen heimtückischen verbrecherischen Zielen“ festhalte.

Die Ausdehnung des Verfassungsschutzes auf das heutige Gebiet der DDR scheint beschlossen. Schäuble kann sich „gut vorstellen, daß es in einem geeinten Deutschland zusätzliche Verfassungsschutzbehörden geben wird“, eine Einstellung früherer Stasi-Mitarbeiter ist aber nicht geplant.

Auch die Pläne für eine Amnestie früherer Stasi-Mitarbeiter müssen offenbar nur noch aus der Schublade gezogen werden. Eine Strafverfolgung werde es dann nicht geben, wenn sich die Stasi-Leute „außer Straftaten, die durch die Teilung Deutschlands bedingt waren, nichts zu Schulden kommen ließen“.

Dafür rückt die Nachfolgeorganisation der früheren SED ins Visier der Kölner Verfassungsschützer. Innenminister Schäuble ließ offen, wie der Geheimdienst mit der PDS umzugehen gedenkt. Bei einer Ausdehnung der PDS auf das Bundesgebiet oder nach der Vereinigung von BRD und DDR müsse geprüft werden, „ob Programmatik und Ziele der PDS mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Einklang stehen und wie die Zusammenarbeit mit Linksextremisten aussieht“.

Erstmals wurden gestern Zahlen über das Bundesamt veröffentlicht. Danach erhielt die Lauschbehörde 1989 rund 223,7 Millionen Mark aus dem Bundesetat. Die Anzahl aller Angestellten wurde mit knapp 2.400 beziffert.