Übergangszeit schafft nur eine Atempause

■ Die Verhandlungskommission, die die Übergangsregelung ausgearbeitet hat, behält als Ziel die Ausdehnung des Paragraphen 218 auf das Gebiet der Noch-DDR im Auge

Die Übergangszeit für die Fristenregelung der DDR ist beschlossene Sache - den Frauen aus der DDR bleibt vorerst das restriktive westdeutsche Indikationsmodell erspart. Die schlimmste aller Möglichkeiten ist damit umgangen worden. Denn ohne eine entsprechende Regelung im zweiten Staatsvertrag hätte der Beitritt der DDR nach Artikel 23 Grundgesetz automatisch die Ausdehnung des Paragraphen 218 bedeutet. Die CSU und die Rechtspolitiker in der CDU -Bundestagsfraktion hatten darauf bis zuletzt gedrungen: Erstens sei die Fristenregelung nach dem Urteilsspruch der Karlsruher Richter von 1975 verfassungswidrig, eine Übernahme komme dehalb auf keinen Fall in Frage. Zweitens müsse für ein Deutschland ein Recht gelten. Dagegen hat Justizminister Engelhard (FDP) seine Auffassung durchgesetzt, eine Übergangszeit lasse sich verfassungsrechtlich rechtfertigen. Das Grundgesetz, so die Argumentation, werde bei einem Beitritt nur „sukzessive“ in Kraft gesetzt.

Die Übergangsregelung für die Abtreibung besage auch, erläuterte der Sprecher des Justizministeriums, Schmid, daß die Grundrechte des Grundgesetzes „nicht voll und inhaltlich und sofort“ auch für das Gebiet der DDR gelten. Allerdings müsse die Übergangszeit möglichst kurz sein. Im Klartext heißt das: was die Verhandlungskommission mit den Ostberliner Verhandlungspartner ausgekocht hat, verschafft allenfalls eine Atempause, behält als Ziel aber die gesamtdeutsche Ausdehnung des Paragraphen 218 nach wie vor im Auge. Wie wenig hiervon abgerückt wird, zeigt allein schon die geplante Regelung, Frauen aus der Bundesrepublik machten sich strafbar, wenn sie im ehemaligen Gebiet der DDR eine Abtreibung vornehmen lassen. Hier haben sich klerikale Kreise und die LebenschützerInnen in den C-Parteien durchgesetzt: Unmißverständlich wird ein Riegel gegen die gefürchtete „schleichende Einführung“ der Fristenregelung gezogen.

Auf der Strecke blieben die Frauenpolitikerinnen der Parteien. Federführend für die SPD-Frauen hatte Renate Schmidt eine Übergangszeit von mehreren Jahren gefordert. Vor allem aber sollten im zweiten Staatsvertrag bereits Eckpunkte für eine Verfassungsänderung festgeschrieben werden, die Frauen das „Recht auf eine selbstbestimmte Schwangerschaft“ zusichern sollten. Damit wäre ein Zurück zum Paragraphen 218 ausgeschlossen worden. Doch bei der SPD war dieser Standpunkt selbst nicht unumstritten gewesen: Rechtsexperte de With hatte sich grundsätzlich gegen einen solchen neuen Verfassungsgrundsatz gewandt mit dem Argument, hier fehle der „Bestimmtheitsgrundsatz“. De With hatte vielmehr darauf gesetzt, daß sich im Lauf der Übergangszeit die „bessere Lösung“, die Fristenregelung, durchsetzen werde.

Aber auch die Frauen aus den Regierungsparteien sind mit ihren Forderungen nicht durchgekommen. Die stellvertretende FDP-Vorsitzende Irmgard Adam-Schwätzer hatte in der Auseinandersetzung mehrfach einen klaren Standpunkt für die Fristenregelung bezogen und gefordert, daß es während einer Übergangszeit keine strafrechtliche Verfolgung der bundesdeutschen Frauen geben dürfe. Damit ist sie gründlich aufgelaufen. Auch Rita Süssmuths vielbegrüßter Vorstoß, parteienübergreifend nach einer „besseren dritten Lösung“ zu suchen, hatte keine Auswirkung. Die Bundestagspräsidentin hatte den Vorschlag gemacht, jede Frau sollte sich vor dem Abbruch beraten lassen. Entscheide sie sich dann für die Abtreibung, drohe ihr keine Strafverfolgung. Mitstreiterinnen für diesen Vorschlag hatte sie sogar bei manchen Frauen der CSU gefunden.

In der DDR hatte sich in den letzten Wochen gleichfalls die Stimmung gewandelt: obwohl die Ostberliner Koalitionsvereinbarungen deutlich die Beibehaltung der Fristenregelung einfordern, hatten sich CDU-Abgeordnete, nicht zuletzt auf Druck der westlichen Schwesterparteien, zunehmend für eine Verschärfung ausgesprochen. Ob die deutsch-deutsche Vereinigung Frauen ein größeres Maß an Selbstbestimmung bringen wird, hängt nun ganz davon ab, wie sich in der Übergangszeit die politischen Kräfteverhältnisse entwickeln werden. Die Übergangszeit läßt zumindest die Chance, den über hundert Jahre alten Paragraphen 218 endlich aus der Welt zu schaffen.

Helga Lukoschat