: „Manasan“ - oder Überdosis
■ Weiterhin ist unklar, wie Ostberliner Babies zu ihrer Standardnahrung kommen sollen / Magistrat spricht via Medien zu den Eltern / Nestle kaufte VEB „Diäta“ / Hauptproblem: Vitamin D
Ost-Berlin. „Manasan“, die Ostberliner Babynahrung für Kleinstsäuglinge, ist nicht mehr in den Kaufhallen zu bekommen (die taz berichtete). Am Donnertag stürmten deshalb entsetzte Eltern das Rote Rathaus und verlangten Aufkärung. Der Magistrat von Berlin lud daraufhin gestern zu einer Pressekonferenz, um via Medien die Eltern zu beruhigen. Bernd Millewill, zuständig für die Abteilung Handel und Gastronomie, erläuterte zunächst die Ursache der Lieferungsunterbrechungen, die in den letzten Tagen zu einem Loch im Versorgungssystem der Säuglingsnahrungsmittel führte, und warnte vor Hamsterkäufen. Die Herstellerin - VEB „Diäta“ Halle -, die mittlerweile ganz von der Nestle -Alete GmbH aufgekauft wurde, mußte durch die Übernahme ihr Vertriebssystem ändern, was zu den Verzögerungen geführt habe. Weiterhin konnte in den letzten zwei Wochen aufgrund eines kaputten Fernwärmesystems die Heizdampfanlage nicht in Betrieb genommen werden, was die Produktion stillegte. Durch die schnellen Entschlüsse, die aufgrund der prekären Situation gefaßt wurden, sei gestern, so Millewill, eine Sonderlieferung in allen Geschäften eingetroffen. Ab kommendem Mittwoch, so versicherte er, sei die Versorgung dann wieder gewährleistet.
Das dem nicht so ist, die Geschäfte und Kaufhallen also gestern noch nicht mit ausreichender Babynahrung versorgt wurden, berichteten KollegInnen aus Ostberliner Zeitungen und die beiden geladenen Ärzte, die sich zuvor in mehreren Geschäften informiert hatten.
Dr. Michael Böttcher, Abteilungsleiter der Säuglingsabteilung im Lindenkrankenhaus, war einer der geladenen Ärzte. Er verdeutlichte zunächst den Unterschied zwischen Ost- und Westbabynahrung und die durch eine wechselnde Verabreichung möglichen Folgen. Da in Ost-Berlin eine Vitamin-D-Verabreichung schubweise in längeren Abständen erfolgt, im Westen der tägliche Vitamin-D-Bedarf eines Babys aber schon in der Säuglingsnahrung enthalten ist, ist eine längere Verabreichung von Westbabynahrung an Ostbabys problematisch. Denn eine Vitamin-D-Überdosis hat Langzeitschäden wie Gewebeverkalkung und ähnliches zur Folge. (Die schubweise Vitamin-D-Verabreichung in der DDR soll nach dem 1.10. in eine kontinuierliche verändert werden.)
Was die Einverleibung des VEB „Diäta“ Halle in den Nestle -Konzern noch mit sich brachte, war ein extremer Preisanstieg der Produkte. Es wurde berichtet, das 500 Gramm „Manasan“, die bislang 2,99 Mark gekostet hatten, gestern für 8,20 Mark verkauft wurden. Insgesamt stellten alle fest, daß die Gesundheit der Säuglinge nicht aus geschäftlichen Erwägungen gefährdet werden dürfe. Ob Nestle das auch so sieht, bleibt abzuwarten.
Annette Weber
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