Hausse an der serbischen Parteienbörse

■ Die neuen serbischen Parteien haben allesamt einen nationalistischen Grundton / Zahlreiche ehemals linke Intellektuelle sind ins nationale Lager übergelaufen / „Jeder denkt nur an sich - weshalb sollten wir Serben anders handeln?“

Aus Belgrad Roland Hofwiler

Trotz glühender Hitze verwandelt sich in diesen Tagen die Belgrader Fußgängerzone zu einer Art Hyde Park. An jeder Ecke propagiert irgendeine informelle politische Partei und derer gibt es in der jugoslawischen Hauptstadt an die fünfzig - ihr Programm und ihre Vorstellungen. Dabei findet man kaum eine, die sich nicht als wichtigstes Ziel die „Vereinigung aller Serben in einem eigenen Staat“ auf ihre Fahnen geschrieben hätte. Da erklären Anhänger des populären Schriftstellers Vuko Drasjovic, es sei allein die Schuld Titos, daß Serbien immer mehr zerstückelt wurde. Man müsse wie Missionare über Land fahren und den einfachen Menschen erklären, daß die Mazedonier, die Montenegriner, selbst die islamisierten Slawen in der Republik Bosnien-Herzegowina eigentlich „zum Stamm der Serben“ gehören. Unter dem Namen „Serbische Erneuerungspartei“ sammeln sie Unterschriften, in denen gefordert wird, mit der Idee eines jugoslawischen Staatsgedankens radikal Schluß zu machen. An einer anderen Straßenecke treffen sich Fanatiker des einst renommierten Universitätsprofessors Vojislav Sesdj, der 1982 aufgrund konstruierter Anschuldigungen zu acht Jahren Haft verurteilt wurde und nur aufgrund internationalen Drucks vorzeitig freikam. Sie verteilen Pamphlete, in denen die „Todeslügen der Partisanen“ aufs Korn genommen werden. Seselj reist seit Monaten durch die Lande und propagiert seine These, die Cetniks, sogenannte Freikorps, die im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Faschisten gegen die kommunistischen Partisanenverbände gekämpft haben, seien keineswegs Todesschwadronen gewesen, sondern Freiheitskämpfer. Um an deren „Heldenkampf“ anzuknüpfen, gründete Seselj seine „Cetnik-Bewegung“ und erklärte als deren erstes Ziel: Die 1,7 Millionen Albaner in der zur serbischen Republik gehörenden Provinz Kosovo müssen „umgesiedelt“ werden bzw. freiwillig in ihr Mutterland Albanien verschwinden. Beide, Seselj wie Drakovic, erklären dazu in aller Öffentlichkeit, sie würden, wenn es denn sein muß, auch mit Panzern nach Kosovo fahren.

Wer geglaubt hat, beide Ex-Dissidenten seien nur Möchtegern -Politiker, die niemand ernst nähme, der irrt. Beide standen in den siebziger Jahren der weltbekannten reformmarxistischen „Praxis-Gruppe“ nahe und sind heute weitaus populärer als die „Praxis„-Mitglieder Tadic und Popov, die ebenfalls an der neuen serbischen Parteienbörse mitspekulieren wollen. Unter beträchtlichem Zulauf auch junger Leute belebte Tadic die alte serbische „Demokratische Partei“ wieder. Aber auch sie machte mit nationalistischen Äußerungen Schlagzeilen. Popov sympathisiert seinerseits als einer der Hauptakteure der Bürgerbewegung „Demokratische Initiative“ mit den Grünen. Mihajlo Markovic schließlich, einst einer der vehementesten linken Kritiker des durch kommunistische Parteidominanz verfälschten Selbstverwaltungssozialismus, ist in die neue „Sozialistische Partei Serbiens“ (SPS) eingetreten, die Anfang der Woche bruchlos aus der alten KP hervorgegangen ist.

Bekanntlich hatte sich am vergangenen Montag der nationalistische Volkstribun Slobodan Milosevic in seiner Eigenschaft als Präsident Serbiens ein neues Mäntelchen umgehängt. Milosevic war seit seinen Kindertagen in verschiedenen Positionen der alten KP Serbiens tätig gewesen, bis 1988 gar deren Parteivorsitzender. Jetzt erklärt er, er habe mit dem Titoismus nie etwas in Sinn gehabt. Er habe immer Willy Brandt nahegestanden, und ihm gehe es um eine neue, zeitgemäße „sozialistische Alternative“. In den ihm ergebenen Medien, und das sind in Belgrad ohne Ausnahme alle Zeitungen, stört ihn der Vergleich nicht, er habe einiges mit dem Rumänen Ion Iliescu gemeinsam, dem Führer der selbst im ersten frei gewählten Parlament nahezu alleinherrschenden „Nationalen Front“. Wie Iliescu vertritt Milosevic die These, man sehe doch, was eine „demokratische Spielwiese“ mit sich bringe: Chaos. Deshalb weigert er sich, als Präsident und neuer Parteivorsitzender der SPS, der nach der serbischen Verfassung bisher einzig legalen Partei, auch nur eine der wildwüchsigen informellen Parteien registrieren zu lassen. Freie Wahlen stellte er für Südjugoslawien erst für Anfang nächsten Jahres in Aussicht, ebenso das Recht, frei Zeitungen zu gründen.

Weshalb finden sich dennoch Intellektuelle wie Mihajlo Markovic, der bekannte Romancier Dobrica Cosic oder Antonio Isakovic, die sich für Milosevics nationalistische Demagogie einspannen lassen? Spricht man mit ihnen, geben sie ausweichende Antworten. Gemeinsam ist ihnen jedoch der Zweifel, ob die bei den freien Wahlen in den Nordrepubliken Slowenien und Kroatien als Sieger hervorgegangenen Parteien die Vielvölker-Föderation Jugoslawien nicht in eine noch tiefere Krise stürzen als die bis dahin allein regierenden Kommunisten. Wen immer man in Serbien anspricht, jeder fühlt sich „mißverstanden“ von den „Demokraten“ im Norden. Dobrica Cosic: „Alle denken ausschließlich national, nur an ihr eigenes Volk. Die Kroaten und Slowenen wollen doch nichts mehr mit Jugoslawien zu tun haben - weshalb sollten wir Serben anders handeln?“