Gegen die Ankoppelung der Bürgerbewegungen an die SPD

■ Templin: Der politische Anspruch der Bürgerbewegungen richtet sich gegen die Dominanz und den Alleinvertretungsanspruch der großen Parteien

INTERVIEW

taz: In der Fraktion des Bündnis 90 überlegen sich einige Abgeordnete, ob sie bei den gesamtdeutschen Wahlen auf Listenplätzen der SPD kandidieren. Die Vorstellung, eine unabhängige Gruppe von zehn profilierten BürgerrechtlerInnen könnte im künftigen Parlament etwas von den radikaldemokratischen Intentionen des Herbstes ins neue Deutschland retten, erscheint einigen Bündnisabgeordneten offensichtlich attraktiv. Das gilt umso mehr, weil die Verhandlungen zwischen Grünen und Bürgerbewegungen für ein eigenes Wahlbündnis eher frustrierend verlaufen.

Templin: Ich halte das SPD-Angebot, das ich in der Größe und Fairnis, wie sie in der Frage unterstellt wird, noch gar nicht sehe, schon deswegen für inakzeptabel, weil sich der politische Anspruch der Bürgerbewegungen ja gerade gegen die Dominanz und den politischen Alleinvertretungsanspruch der Großparteien richtet. Schon aus diesem Grund sehe ich eine sehr viel größere Nähe zum grün-alternativen Projekt als zur SPD. Ich halte es deshalb unserem Selbstverständnis angemessen, innerhalb der Grünen/West, der Grünen/Ost und der einzelnen Bürgerbewegungen zu einer gemeinsamen Handlungsfähigkeit zu kommen. Nur in dieser Richtung und nicht durch ein ausgetüfteltes Listenangebot der SPD läßt sich das politische Gewicht der Bürgerbewegungen in einem vereinten Deutschland erhalten.

Wenn die SPD euch Listenplätze und den Status einer unabhängigen Gruppe anbietet, ließe sich das ja auch als Abkehr vom Alleinvertretungsanspruch interpretieren. Kannst du dir vorstellen, daß die SPD dieses Angebot nicht nur aus wahltaktischen, sondern möglicherweise aus politisch -inhaltlichen Überlegungen heraus unterbreitet?

Der Umgang der SPD mit den Bürgerbewegungen seit dem Herbst und der Umgang der West-SPD mit den neuen sozialen Bewegungen und den Grünen in den 80er Jahren machen mich ziemlich skeptisch im Hinblick auf ein wirklich faires, inhaltlich motiviertes Angebot. Ich sehe darin eher den erneuten Versuch der SPD, die Bürgerbewegungen zu vereinnahmen.

Es wäre überzeugender, wenn die SPD einen Sinneswandel in einem inhaltlich qualifizierten Wahlkampf dokumentieren würde. Ich kann durchaus unterscheiden zwischen einzelnen Personen in der SPD, mit denen mich lange Kontakte und gemeinsame Überzeugungen verbinden und dem, was diese Partei insgesamt prägt. Gerade deshalb glaube ich, daß auch eine ganze Gruppe von BürgergechtlerInnen im Bezug auf die Eigenständigkeit in der SPD chancenlos ist. Sie könnte sich nur um den Preis ihres inneren Loslösens von den Traditionen der Bürgerbewegungen in die SPD einbringen.

Die Alternative zum SPD-Ticket sieht derzeit so aus, daß höchstens drei oder vier Abgeordnete die Bürgerbewegungen im Parlament vertreten werden. Die Chance, eure politischen Intentionen wirkungsvoll zu vertreten, scheint da doch ähnlich gering.

Unabhängig davon, daß ich die Chance auf eigenständige Politik innerhalb der Grünen sehr viel eher sehe, möchte ich die Frage, wieviele Abgeordnete für die Bürgerbewegungen im Parlament sitzen werden, ungern vom Verhandlungsgeschick einiger mit der SPD abhängig machen. Das wichtigste Kapital der Bürgerbewegungen ist ihre Glaubwürdigkeit, die wir nicht im Listenpoker mit der SPD aufs Spiel setzen sollten. Ich halte darüberhinaus die politische Situation des kommenden Herbstes für völlig offen. Es wird neue Problemlagen und Konflikte geben, die die Chancen der Bürgerbewegungen, ihre politischen Intentionen zu vermitteln, eher stärken werden. Deshalb halte ich es auch für kontraproduktiv, die Anzahl der Mandate, die wir in einem Bündnis bei den Wahlen erreichen können, schon im voraus zu limitieren.

Argumentierst du gegen das SPD-Angebot nicht eher vom Ideal aus als von der derzeitigen Realität der Bürgerbewegungen? Diejenigen von euch, die sich eine Kandidatur bei der SPD vorstellen können, beurteilen jedenfalls das Zustandekommen eines tragfähigen Bündnisses sehr viel skeptischer. Einige halten es faktisch für gescheitert.

Ich glaube, es ist genau umgekehrt. Ich versuche die Idee der Bürgerbewegung auf ihre politische Realität und Geschichte zurückzuführen. Von daher sehe ich, parallel zu den Bürgerbewegungen in der DDR, Ansätze einer neuen sozialen Bewegung auch im Westen. Es ist für mich kein Zufall, daß bei den Grünen/West diese Ansätze am stärksten vertreten sind. Wenn es eine gesamtdeutsche politische Kraft gibt, in der sich der basisdemokratische Politikansatz halten und weiterentwickeln läßt, dann sind das auch empirisch die Grünen. Und die gleichen Leute, die jetzt schon dabei sind, zu resignieren, wenn es um die Chancen dieses Projekts geht, gehören eigentlich mit ihrer ganzen politischen Energie in die gemeinsamen Bemühungen dorthin.

Meine Frage zielte auf die derzeitige Situation der Bürgerbewegungen und ihre Kooperationsfähigkeit untereinander. Es hat doch den Anschein, als sei das Bündnis 90 lediglich noch in der in der Volkskammer präsent, während die Bürgerbewegungen selbst sich in Gruppenstreitigkeiten und Profilierungskämpfen aufreiben.

Ich denke, das ist eine verzerrte Sicht. Gerade an der Basis der Bürgerbewegungen in den Kommunen gibt es viele, die das gemeinsame Bündnis zu den Volkskammerwahlen jetzt weiterentwickeln wollen. Was die oft zähen Verhandlungen betrifft, so meine ich auch, daß das Maß an organisatorischer Geschlossenheit und Cleverness, das von den Großparteien praktiziert und den Bürgerbewegungen als Defizit ausgelegt wird, mit unseren Ansprüchen nicht vereinbar ist. Viele Verhandlungen sind ja deswegen so langwierig, weil sich da Leute gegenübersitzen, die den Normen einer eingefahrenen Politik und zentraler Disziplinierung mißtrauen. Ich kann das, auch wenn ich die tatsächliche Praxis der Basisdemokratie oft als problematisch empfinde, nicht grundsätzlich anders haben wollen.

Du betrachtest also das Wahlbündnis noch keinesfalls als gescheitert?

Die Gemeinsamkeit zwischen dem ökologischen Anspruch der Grünen und dem radikaldemokratischen der Bürgerbewegung werden in einem Wahlbündnis münden. Das ist natürlich wieder ein Wettlauf mit der Zeit. Wir sollten uns jetzt auf die Inhalte konzentrieren und persönliche Ambitionen und Aversionen zurückstellen. Das ist um so wichtiger, als sich bei den Wahlen vom Dezember entscheiden wird, ob es den deutsch-deutschen Großparteien gelingt, mit Bürgerbewegungen und Grünen einen lästigen Störenfried und eine kardinale politische Herausforderung für eine geraume Zeit loszuwerden. Ich hielte das Gelingen dieser Absicht, die ja auch von der SPD ganz stark mitgetragen wird, für verhängnisvoll. Ich meine nicht, daß die Bürgerbewegung jeden Preis zahlen sollte, um das Scheitern der Grünen zu verhindern. Ich denke aber, daß sie ein ganzes Stück an Verantwortung auch für das Schicksal dieses Projekts hat.

Könnte die Bürgerbewegung die Entscheidung einiger, das SPD -Angebot anzunehmen, verkraften?

Das wäre sicher eine Zerreißprobe. Ich denke, das würde die Bemühungen um ein grün-demokratisches Bündnis deutlich schwächen und darüberhinaus die Bürgerbewegungen als ganze gefährden.

Das Interview führte Matthias Geis