„Zuhause müssen wir Knochen sammeln“

■ Grabpflege als Kulturarbeit und Spurensuche

„Wir sind überrascht, wie wenig wir hier eigentlich zu arbeiten haben“, Andrejs Muraschko ist zusammen mit sechs Schülern aus Riga zum internationalen Jugendcamp der Kriegsgräberfürsorge nach Bremen gekommen. Grabpflege - das ist für die Besucher aus Lettland nichts Befremdliches. Der (noch junge) Lehrer erzählt: „Bei uns ist es eine Volkstradition, den Friedhof so schön

wie einen Garten zu machen.“ Von klein auf seien die Letten daran gewöhnt, mit ihren Familien auf dem Friedhof zu arbeiten. „Es war uns allerdings in den vergangenen Jahren vieles verboten.“ Wer Blumen zu den Gräbern der Staatsmänner Lettlands, den als „Vertretern der bürgerlichen Zeit der Republik“ Geächteten, bringen wollte, der wurde bestraft. Die Gräber der Kriegstoten

verfielen: „Wenn wir jetzt mit der Perestroika die Grabpflege wieder aufnehmen dürfen, dann müssen wir die Gräber überhaupt erstmal herstellen“, berichtet Muraschko. Oft heiße das sogar: Knochen zusammentragen.

Das „Ehrenfeld Ausländer“, auf dem die Jugendlichen aus neun Nationen an diesem Vormittag Moos von den Namensplatten kratzen, ist letzte Ruhestätte und

Mahnmal zugleich: Hier liegen vor allem die sowjetischen und polnischen Zwangsarbeiter, die sich in Bremer Firmen zu Tode arbeiteten. „Wir versuchen auch, mit den Jugendlichen an Informationen über diese Toten und ihre Einsatzorte heranzukommen“, erklärt Camp-Mitarbeiterin Angelika Moser. „Heute morgen kam ein alter Mann auf uns zu, der meinte, daß diese Leute zu einem Großteil bei Borgward gearbeitet haben“, berichtet die 17jährige Schülerin Lucija aus Jugoslawien, die mit ihren Freundinnen zwischen den Gräbern auf dem Rasen sitzt und sich sonnt. Auch sie findet Grabpflege notwendig und selbstverständlich: „Am 1. November gehen wir regelmäßig auf die Friedhöfe.“

Ansonsten wollen die Jugendlichen vor allem eines: Junge Leute aus verschiedenen Ländern kennenlernen und eine schöne Zeit miteinander haben. „Falls uns unsere Heimatländer irgendwann einmal in den Krieg schicken wollen, dann ist es gut, wenn wir dabei an die Leute in diesen Ländern denken, die wir kennen und als Freunde und nicht als Feinde empfinden“ beschreibt der 23jährige Biologiestudent aus Algier, warum er nach seinem ersten internationalen Jugendcamp kontinuierlich als Betreuer für seine algerischen Landsleute nach Europa mitkam.

ra