Empfängnishilfe

■ „Gnadenlose Träume“ von Rockhaus und „Restaurants Restaurants Restaurants“ von Max Goldt

BERLINER PLATTENTIPS

Heute sind wir mal nicht so aktuell: Max Goldts Restaurants Restaurants Restaurants wurde bereits 1986 aufgenommen und kürzlich wiederveröffentlicht. Und auch Gnadenlose Träume von Rockhaus ist schon ein paar Tage älter, verdient es allerdings, aufgrund der Umstände doch noch besprochen zu werden, und ist vor allem erst kürzlich auf meinem Plattenteller gelandet.

Ich will zwar nicht in dieses große Fettnäpfchen tapern und mir anmaßen, den Ostlern sagen zu wollen, wo es lang geht, aber musikalisch ist Gnadenlose Träume (Teldec) eine Platte, die nicht eine verlorene Zeile wert wäre, denn dazu ist sie allzu biederer Mainstream-Rock, du darfst auch übelster Mainstream-Rock dazu sagen und ganz fest an Wolf Maahn oder Klaus Lage (na, ganz so schlimm dann doch nicht) denken, wenn dir dabei nicht schlecht wird.

Nachdem mit Herbst in Peking die erste DDR-Band ihre erste Single bei einem Westberliner Indie untergebracht hatte, sind nun Rockhaus die ersten mit einem Vertrag bei einer westlichen Major-Firma. Das allein macht Gnadenlose Träume zu einem zeitgeschichtlichen Dokument, da darf natürlich auch die Bewältigung der jüngsten Vergangenheit nicht fehlen, auch wenn sie doof wie Brot stattfindet: „Wir tanzen auf der Mauer durch die Nacht / Wir tanzen bis die letzte Seele lacht / Mitten im November, mitten im November brach das Eis / Wir tanzen über die Totenbrücke an einem Novembertag“. Revolte als Disco wäre ja nicht so schlecht, aber selbst Rockhaus haben schon brav erkannt, was aus der „ersten friedlichen Revolution auf deutschem Boden“ geworden ist: „Die Reichsadler fliegen wieder / Sie kehren heim ins deutsche Reich“ unterlegt mit düsterem Synthiegewaber und bedrohlichen, verhallten Gitarren, da haben wir uns aber gefürchtet.

Ansonsten liegen ihnen Bikerfantasien („Abfahr'n im Regen die Sonne im Gesicht“), musikalisch umgesetzt als Steppenwolf-Parodie, am Herzen oder gleich im nächsten Stück der kleine Junge „mit dem Märchenbuch unterm Arm“, der „auf der Suche nach dem Glück“ ist und von dem seine Eltern noch nicht mal gemerkt haben, daß er abgehauen ist, weil sie so oft streiten. Dazu pickt die Gitarre, geigt der Synthie und wackelt die Stimme. Was haben wir geweint. Und erst bei dem Stück, wo der Junge im Knast sitzt, weil seine Eltern ihn nicht geliebt haben und nicht mit ihm geredet haben. Junge Männer mit harter Kindheit.

Was eine richtige Rockband ist, die kann natürlich auch das immer wieder schöne und wichtige Thema Liebe nicht auslassen: „Ich lass‘ mich treiben auf dem Meer der Gefühle / im Wasser spiegelt sich dein Gesicht / es ist keine Rettungsboot in Sicht - oh oh“. Einer der gröbsten Fehler ist allerdings, einem Stück den vielversprechenden Titel „Rudi, Rudi“ zu geben, obwohl es sich dabei nicht um eine Hommage an Tante Käthe handelt.

Die „Special Thanks„-Liste entlarvt die Bekanntschaft von Rockhaus mit Bernward Büker und Jean-Jacques Kravetz, zwei Protagonisten des immer noch nicht vollständig ausgestorbenen Krautrocks, dessen Wiederbelebung sich der halbe Osten anscheinend vorgenommen hat. Wenn das zu den deutschen Werten gehört, deren Renaissance uns im Zuge der Wiedervereinigung ins Haus steht, dann graut mir allerdings davor. Das musikalische Mittelalter scheint nicht mehr weit, und Joe Cocker wird König.

Ab und zu ist es ganz sinnig, manche Dinge besonders krass nebeneinander zu stellen. Und wenn man, so wie ich, auch noch Max Goldt direkt nach Rockhaus hört, schneiden die Ostberliner noch schlechter ab. Restaurants Restaurants Restaurants - 22 hysterische Miniaturen Weitgehend eine Sprechplatte (Fünfundvierzig, EFA) ist der volle Titel dieser Wiederveröffentlichung. Und natürlich ist Max Goldt klasse wie immer, auch wenn das Konzept der genialen Dilettanten inzwischen veraltet und nicht mehr zeitgemäß sein mag und diese Platte bereits vier Jahre alt ist.

In hübscher Regelmäßigkeit wechseln sich die Kleinkinder -Instrumentals auf den Billigsynthies mit Minihörspielen ab, in denen der sabbernde Spießer Max Goldt mit der nuschelnden Oma Max Goldt und dem schüchternen Frollein Max Goldt, manchmal gar mit Max Goldt selbst parliert über „Träume“ (“...ich ohne Schlüpfer und so...“), „Pop und Klassik“ („Die singen ja teilweise, wollnwa mal sagen, fast schöner wie die Vögel“) oder den „Arzt, wie er nicht sein soll“ („Das kann ich mir vorstellen, daß Ihnen das unangenehm ist. Das wäre mir nämlich auch unangenehm, wenn ich einen so widerwärtigen Ausschlag hätte...“).

Natürlich ist diese Platte ein Meisterwerk des Non-Witzes, des Gags ohne Pointe. Die meisten der Dialoge zwischen Goldt und Goldt sind noch nicht mal überzeichnet oder satirisch, sondern, so scheint es, einfach abgehört. Und auch wenn er Klischee auf Klischee aneinanderreiht, ist seine Herangehensweise dabei doch so verdreht und krude, daß es eigentlich nicht mal solche obskuren Geschichten wie die von den 35 kleinen, zerquetschten Koreanerinnen bräuchte, um, also wollnwa mal sagen, um humorvoll zu sein, ja, ja, ne, wollnwa mal sagen, um lustig, ja komisch...

Thomas Winkler