Wer hilft Pele?

■ Die Ostberliner Reiterei geht vom Galopp in den Sturzflug über

Pele ist einsam geworden. Der braune Pele blickt traurig auf seine bewegte Vergangenheit und ängstlich in die ungewisse Zukunft. Auch die Augen von Arrows und Friedländer, seinen Nachbarn, drücken ihre Sehnsucht nach besseren Zeiten aus. Pele steht zwischen ihnen, ohne sie trösten zu können. Obwohl der zwölfjährige Wallach einiges zu erzählen hätte. Er kennt sich in seinem Reitstützpunkt Neuenhagen vor den Toren Ost-Berlins gut aus. Einer von sechs Reitklubs der Stadt.

Die Anfänge des stolzen Stalls freilich kennt Pele nicht. Um 1900 wurde er vom Atomphysiker Oppenheimer als Herberge für seine Rennpferde gebaut. Später von der SS eingekloppt, dann wieder enteignet und schließlich vom Wohnungsbaukombinat Berlin (WBK) als Sektion Pferdesport seiner Betriebssportgemeinschaft übernommen.

Seit 1977 arbeitet der heutige Objektleiter Lutz Siegel im Stall, der Pele ein Zeugnis voller Gutmütigkeit ausstellt. Das brauchte er auch als Pferd mit oft wechselnden Reitern. Da kamen Kinder zum Voltigieren, jugendliche Draufgänger zum Springreiten, die Seniorengruppe zur Dressur. Pele war ein Multitalent. Zehn der 22 Pferde hatten's besser und ständige Reiter. Vor zehn Jahren stellte der Stall sogar den DDR -Meister über Oxer und Wassergraben. Obwohl nie gebarrt wurde, wie Objektleiter Siegel versichert: „Wir haben das ein-, zweimal probiert. Aber unsere Pferde haben das nicht kapiert.“

Inzwischen ist es ohnehin ruhiger geworden. Das nationale Championat an diesem Wochenende hat ohne Peles Kameraden stattgefunden. Die Reisekosten sind zu hoch, die Klasse der Pferde ist zu gering. Aber auch im Stall selbst schläft das Leben langsam ein. Von ehemals 160 Klubmitgliedern aus Berlin und Umgebung halten nur etwa 60 den Pferden die Treue. Die Beiträge pro Monat wurden auf 10,- (Kinder) bis 50,- Mark (Sportreiter) erhöht.

Damit können nur ein Drittel der Kosten gedeckt werden. Das WBK, ehemals die Quelle lebensnotwendiger Subventionen, hat diese eingestellt und verlangt stattdessen 80.000 Mark Pachtgebühren für den Stall plus Reitgelände. Zwei der drei Stallarbeiter sind vom DTSB entlassen. Nur der Objektleiter blieb übrig, bezahlt vom WBK, wie lange noch, ist völlig offen...

Und Pele guckt mich fragend an, was wohl aus ihm werden soll. Lutz Siegel nimmt mich zur Seite, damit die Pferde es nicht hören können, und erläutert Varianten: Finanzierung aus eigener Kraft fällt aus. Ein Fuhrunternehmen für Touristen ist zwar erniedrigend, aber möglich. Wenn sich kein reicher Geldgeber a la Oppenheimer findet, wenn es ganz schlimm kommt, bleibt nur eins - notschlachten!

Für Pele, den Gutmütigen, steht also die Frage: Ziehe ich bald einen Wagen über's Land oder zieht man mir das Fell über die Ohren? Ach, du gute, alte Zeit!

Hagen Boßdorf