Den Sessel gedreht

■ Dem 'Deutschen Sportecho‘ gelang der große Sprung in die Obhut des Axel-Springer-Verlages

PRESS-SCHLAG

Heute haben die Leser des 'Deutschen Sportecho‘ die erste Woche der neuen Machart überstanden. Die Zeitung ist bunter geworden in der Farbe, jawohl, aber auch ihr Inhalt ist jetzt wie in der 'Bunten‘. Die einzige deutsche Sporttageszeitung, die vor der Wende eine Auflage von 600.000 Exemplaren hatte - fast dreimal so viel wie der 'Kicker‘ im viermal größeren Westen - hat sich dank Springers Geld und Konzeption vom sachlich-kompetenten Sportblatt zum Boulevard-Schmöker der Sportszene gemausert. Der großdeutsche Markt ist im Visier. Respekt für die gelungene Wende!

Die fette Schlagzeile der ersten Ausgabe zeigte gleich ungeschminkt den neuen Trend: „Olympia-Terrorist noch in Berlin?“ Der Beginn des Aufmachers („München-Attentäter lebte im Palast-Hotel“) war dann schon doppelt geschwindelt, denn weder Abu Dauds Beteiligung am Attentat noch sein Aufenthalt in Berlin sind bis heute bewiesen. Doch das wird die Schreiber des 'Sportecho‘ so sehr nicht mehr stören, wenn's nur die Story bringt.

Also: Rein in die Zeitung mit den Königin-Sylvia -Geschichten, die der schwedische Monarch schließlich bei den Olympischen Spielen 1972 in München kennengelernt hat. Rein ins Blatt mit detaillierten Schlüpferstories über das Scheitern der Olympiasiegerin Sowieso, aber den neuen Lover nicht vergessen... Und dann bitte ein wenig mehr Sorgfalt beim Headline-Basteln, nach Vor-BILD des großen Bruders. „Ha, ha, ha - Deutschland wieder da!“ wäre doch wohl machbar im Falle eines DDR-Erfolgs bei den aktuellen Goodwill-Games in Seattle.

Doch auch das wäre nur journalistischer Stilbruch. Schmerzhafter ist der Eindruck, daß im 'Sportecho‘ anscheinend jede Diskussion über den eigenen Berufsethos parallel zum SED-Parteilehrjahr abgeschafft wurde. Die Frage ist doch: Wo stehe ich eigentlich mit meinem geistigen Erguß? Auf Seiten der Sportler? Igittigitt. Auf Seiten der Machthaber und Funktionäre? Man würde es nicht zugeben. Aber wer geübt war, den DTSB-Sportpropagandisten zum Munde zu reden, der ist auch sicher beim Hofieren der neuen Sportstrategen.

Das dabei manche Ohrfeige für die DDR-Sportler abfällt, ist beim neuen 'Sportecho'-Standpunkt nur gerecht. Der Schuh drückt schon lange nicht mehr. „Die Sportler müssen Opfer bringen für die letzten 40 Jahre... Sie leben nicht unter einer Käseglocke“, heißt es in einem Kommentar des Blattes. Aber die Athleten leben in einem Staat, der einst den Sport wie wild förderte und ihn nun niederreißt. Das ist dann wohl ihr Pech, weil ihnen das Glück fehlte, einfach den Sessel zu drehen und mit ihm die Sicht auf die Dinge. Schön für die Echo-Redakteure, daß dabei natürlich auch mehr Geld für sie abfiel.

Aber noch schöner und sympathischer sind die Absagen, die Springers Sportsprachrohr von profilierten Redakteuren der linken Jugendzeitung 'Junge Welt‘ erhielt, als das neue 'Sportecho'-Team zusammengekauft wurde. Dabei war man sich vorher so sicher, daß man die vermeintlichen Neuverpflichtungen schon im Impressum der ersten Ausgabe nominiert hatte. Peinlich!

Trotz alledem - ich werde das 'Deutsche Sportecho‘ nicht abbestellen. Weil ich es zum Glück noch nie abonniert hatte.

Hagen Boßdorf