Marionettentheater in der Volkskammer

■ Zum Streit über Wahlmodus und Beitrittstermin

KOMMENTARE

Es ist schon absonderlich, mit welcher Hartnäckigkeit sich die Ostberliner Koalitionspartner ineinander verbissen haben. Dabei hat es in den letzten Monaten wahrlich nicht an Anlässen gefehlt, die für harte Auseinandersetzungen gut gewesen wären. Doch in den zentralen Fragen zur Herstellung der staatlichen Einheit wurde der zwingende Dissens immer wieder mit dem Verweis auf die nationale Verantwortung relativiert. Praktiziert wurde der Burgfriede: Die Abwicklung der Einheit nach Artikel 23 wurde ohne jede Aufregung abgesegnet. Der soziale Korrektivanspruch der SPD reduzierte sich auf Mäkeleien am Rande. Der parlamentarische Widerstand gegenüber der Bonner Exekutivdominanz blieb aus. Gerade weil bei den Weichenstellungen in Ost-Berlin immer nur der Schulterschluß zählte, reibt sich der Betrachter des jetzt in Ost-Berlin inszenierten Prinzipiengefechts verwundert die Augen. Plötzlich soll der Konflikt um Beitritt 1. 12. oder Beitritt 2. 12. für den Koalitionsbruch gut sein? De Maiziere, beim Aushöhlen der Souveränitätsrechte seiner Regierung zugunsten Bonns wirklich nicht zimperlich, sorgt sich plötzlich - im Falle des Beitritts vor der Wahl - um das exekutive Vakuum bis zur Bildung der gesamtdeutschen Regierung? Die SPD, sonst höchst spitzfindig beim Kreieren von Übergangsregelungen, sieht gar den Ethos des ersten gemeinsamen Urnengangs gefährdet.

Die Doppelbödigkeit der Debatte hat Lehrstückcharakter. Was da in Ost-Berlin aufgeführt wird, hat mit demokratisch -parlamentarischen oder verfassungsrechtlichen Prinzipien nur insofern zu tun, als diese zur Legitimation der jeweils eigenen Parteiinteressen instrumentalisierbar erscheinen.

Gestritten wird einzig um die Wahlmodalitäten und damit um die besten Positionen beim Start in den gesamtdeutschen Parlamentarismus. Die SPD, ohnehin mit dem Rücken zur Wand, weil das bloße Mitmachen keinen Profilierungsgewinn eingebracht hat, will wenigstens das verbleibende Wählerreservoir nicht auch noch mit der PDS teilen müssen. Die CDU hingegen erhofft sich just davon den vollständigen Wahltriumph. Die FDP zeigt, wie immer vor Wahlen, daß es sie auch noch gibt, und die DSU will einfach mit dabei sein im Parlament des einig deutschen Vaterlandes.

Die eigentliche Unverschämtheit des Vorgangs besteht dabei gar nicht mehr im sattsam bekannten Egoismus der Parteien, sondern in ihrer Hoffnung, sie könnten ihr Feilschen dem staunenden Publikum auch noch als ehrlichen Streit ums eherne Ganze verkaufen: Parlamentarismus als Bürgerverarschung.

Es ist der CDU zu verdanken, daß sie die letzten Zweifel an dieser Interpretation beseitigt hat. Die gemeinsame Abstimmung mit der PDS, die sonst nur als Prügelknabe für echte Demokraten gut ist, war insofern schon ein taktischer Fauxpas erster Ordnung.

Doch der Schlüssel zum Ostberliner Schlagabtausch liegt auch diesmal in Bonn. Es hat etwas Unwirklich-Irritierendes, daß - ganz gegen sonstige Gepflogenheiten - plötzlich die zentrale Entscheidung über die Wahlmodalitäten an Ost-Berlin delegiert wurde. Die Hintergründe dieser scheinbar großzügigen Bonner Geste hat jetzt DSU-Chef Walter in dankenswerter Unprofessionalität ausgeplappert: de Maiziere mußte vorab in Bonn versprechen, alles im Sinne der West -Union zu regeln. Deren Problem aber liegt, so unglaublich es klingen mag, in der Frage des Einzugs der desolaten CSU -Schwester DSU. Die egozentrischen Bayern wollen einfach nicht wahrhaben, daß die Erfüllung ihres staatlichen Einheitstraums mit dem eigenen Machtverlust erkauft wird. Daß den ausgerechnet die DSU aufhalten soll, mutet fast noch absurder an als der unionsverordnete Stellvertreterkrieg, der in Ost-Berlin aufgeführt wird.

Matthias Geis