Brennan räumt seinen Richterstuhl

■ Nach Rücktritt des Liberalen wird der Oberste Gerichtshof der USA zur „konservativen Dampfwalze“

Aus Washington Rolf Paasch

Die Urteile des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten reflektieren jeweils die Politik der vergangenen Administration. So sorgte der gegenwärtige „Supreme Court“ nach den Ernennungen von zwei Richtern durch Ronald Reagan mit seiner neuen konservativen Mehrheit von 5:4 Richterstimmen schon dafür, daß einige fortschrittliche Grundsatzurteile zurückgenommen wurden. Auf einigen Gebieten jedoch, wie in der Abtreibungsfrage, im Urteil über die Legalität des Verbrennens der US Flagge als Protestform und bei Maßnahmen zur positiven Diskriminierung von Minderheiten reichte die knappe Mehrheit noch nicht zur Aufhebung der liberalen „Anachronismen“ in der Verfassungsrechtsprechung. Die nicht eindeutige Haltung der sonst konservativen Richterin Sandra O'Connor in der Abtreibungsfrage hat beispielsweise bisher eine Aufhebung der in einem Urteil von 1973 verankerten Abtreibungsfreiheit verhindert. All dies wird jetzt anders werden. Nach dem Rücktritt des Liberalen Brennan steht George Bush unter Druck seiner Parteirechten, einen strammen Konservativen auf den freigewordenen Richterstuhl zu berufen. Nach den heftigen Auseinandersetzungen über die gescheiterte Ernennung des erzreaktionären Richters Robert Bork durch Ronald Reagan, wird der US-Senat zwar auch bei Bushs Richterwahl ein Wort mitreden wollen. Die Bestellung eines Konservativen wird der Kongress jedoch nicht verhindern können. Das Oberste Gericht, so formulierte es der Justizbeobachter Bruce Fein am Samstag, werde sich ohne Richter Brennan jetzt in eine „konservative Dampfwalze“ verwandeln - in ein Gegenstück zu dem liberalen „New Deal„-Gericht, das Franklin Roosevelt in den 30er Jahren berufen hatte, um eine fortschrittliche Sozialgesetzgebung durchzusetzen.

William Brennan war vor 34 Jahren von Präsident Eisenhower zum Obersten Richter ernannt worden. Der anfangs juristisch unscheinbare Brennan entwickelte sich bald zum Champion der Liberalen und zur Geissel der Konservativen. In den letzten Jahren musste sich der „Brueckenbauer“ Brennan mit seinen ebenfalls über 80jährigen Kollegen Blackmun und Marshall jedoch darauf beschränken, die schlimmsten Urteile des Supreme Court zu verhindern oder abzuschwächen. Sollten die beiden liberalen Richtergreise noch zu Zeiten der Bush -Administration in Pension gehen, dann droht den USA für den Rest der 90er Jahre eine „Rechtsjustiz“, die kaum noch eine der juristischen Errungenschaften der liberalen 60er und 70er Jahre übrig lassen dürfte. Schon Brennans Abschied ist für die US-Frauen ein Aufruf, zu den Waffen zu greifen, erklärte die Präsidentin der „Feministischen Mehrheit“, Eleanor Smeal.