Carsten Flöter und der Suppentellerrand

■ „Talkschwuz Extra“ live im Tempodrom: Schwule in den Medien / Netter als sonst: der Republikschwule Carsten Flöter / Resolut wie immer: Lea Rosh, die angeblich nicht sensationsheischend mit Aids-Kranken umgeht

Tiergarten. Skandalös. Verrucht. Pervers. Wir haben es mit eigenen Augen gesehen, das, was das Fernsehen niemals zeigen wird. Im Tempodrom. Die sonntägliche Abendluft war lau, über den Kotelettresten im Tiergarten grillten die Grillen: Da tanzte Carsten Flöter sehr flott Lambada vor den Augen der warmen Hauptstadt.

Doch bevor die herzensblöde Homofigur aus der Lindenstraße, der „Sklave Meister Proppers“ (Detlev Meyer), so aus der Rolle fallen durfte, mußte sie noch als schwuler Schauspieler Georg Uecker eine Open-air-Talkshow absolvieren. „Talkschwuz Extra“ mit dem Großthema: Schwule in den Medien im allgemeinen und der Umgang mit HIV -Positiven und Aids-Kranken in TV-Talkshows im besonderen. Talkshow in der Talkshow also und, als wäre das nicht schon genug, auch noch die absolute Großmeisterin des Plaudergenres eingeladen, Lea Rosh.

Zunächst waren die Kulturschaffenden dran, die dem Moderator Frings und dem assistierenden Wieland Speck (Filmemacher) auf der Hollywoodschaukel Rede und Antwort saßen. Wie schwer oder leicht hat es schwule Kultur in den Medien? Diseuse Georgette Dee berichtete von den ewigen Schubladen und Etiketten, Erste Hilfe aller Kulturredakteure, gerade wenn es ums Homozeugs geht. Da stehe dann eben „Transvestit“ im Fernsehvertrag und fertig, auch wenn's nicht stimme. Es sei schwer zu sagen, was sie da so mache. Und dann sang sie, die Dee, und es war gut.

Der schwule Schriftsteller Det lev Meyer, der schwule Romane schreibt, hat ähnliche Beschwerden: Stark gefragt sei er immer, wenn irgendwo „die Sau rausgelassen werden soll“. Beispielsweise wenn der Kulturreferent der Stadt Hagen auf einer Lesung Gewagtes präsentieren möchte, im Mitternachtsprogramm Lyrik o la la. Da werde er dann, so Meyer, wie ein Wundertier vom Bahnhof abgeholt, „als würde ich im Rollstuhl sitzen, nach dem Motto: Behinderte schreiben“.

Georg Uecker alias Carsten Flöter referierte erfrischend tuntiger als in der Lindenstraße die besondere Flöter -Dialektik: Natürlich sei die Rolle aus Rücksichtnahme auf das 14-Millionen-Publikum so bürgerlich und spießig angelegt (das Coming-out wurde ein Jahr lang „vorbereitet“, Sauereien dauerten noch länger) - das sei aber vielleicht gar nicht so falsch. Schließlich sei die Merhrheit der Schwulen nicht weniger bürgerlich als die Heteromasse, auch wenn diese historische Wahrheit vielen Schwulen nicht in den Kram passe: „Tischuntersetzer mit Spitzenmuster findest du überall.“

Obwohl die Rolle so zurückgenommen gespielt werde, provoziere sie heftigste Reaktionen: Weil Schwule auf dem Bildschirm so selten seien, werde „unheimlich viel hineininterpretiert“, auch produziere sie ständig Feindschaft, weil sie nicht alle Schwulen repräsentieren könne. Und im Alltag rieten ihm besonders ältere Damen gern auf offener Straße, wie er den gemeinen Freund Robert loswerden müsse, Jungschwule schickten Briefe mit Bild, Frauen böten Bekehrungshilfe an. Für die Lindenstraße -Fans gab es noch eine schlechte Nachricht: Küsse auf den Mund sind Carsten und Robert vom WDR in Zukunft verboten worden. Die katholische Kirche habe interveniert, Kardinal Meisner höchstselbst habe bei Intendant Nowottny vorgesprochen.

Dann durfte endlich, unter donnerdem Applaus, für den sie sich auch professionell-resolut bedankte, Lea Rosh (Freitagnacht, SFB) die Bühne betreten. Auch dabei: Talkmaster-Kollegin Sandra Maischberger (Live aus dem Schlachthof, BR). Beide sollten für das sensationsheischende Umspringen mit HIV-Positiven und Aids -Kranken in ihren Talkshows unter Feuer genommen werden. Dazu waren sogar „Opfer“ angereist, Ralf Erdorf und Christian Kesselring. „Schwule sind doch nur mit Kaposi oder einem Hammer im Hinterkopf fürs Fernsehen interessant“, meinte Erdorf und beklagte, daß das Thema Aids locker zwischen „Löwenbabies, Inge Meysel und Schäferhundesport“ gruppiert werde. Doch die „Betroffenen“ und die Bühnen -Talkmaster Frings und Speck ließen sich selbigen locker vom Brot nehmen. So meinte Sandra Maischberger (die in ihrer Show eine aidskranke Frau gefragt hatte: „Wie lange gibst du dir noch?“) ganz einfach, daß sie gelernt habe und das Thema nicht mehr in der Form der Talkshow behandeln werde. Und Lea Rosh forderte tribunInnenhaft Sendungen für das breite, zu „erziehende“ Publikum mit entsprechenden Einschaltquoten: „Nur schwul reicht nicht.“ Hier griffen Frings und Speck zuwenig ein, so daß am Ende gar der Vorwurf von Maischber ger an die Schwulen stand, daß „ihr auch mal über euren Suppen tellerrand hinausschauen soll tet“.

Etwas schade um den Schluß, ansonsten ein sehr, sehr unterhaltsamer Abend. Flöter live bitte nächstes Mal die ganzen drei Stunden lang.

kotte