Lust und Schokosoße

■ Süßer Schniedel auf Hochglanzpostkarten erregte öffentlich Ärgernis / Beruhigte die Schokoladensoße den staatsanwaltlichen Eifer?

Wilmersdorf. Lust und Unlust müssen in einem Gemeinwesen, das sich mit dem Prädikat Rechtsstaat selbst ausgezeichnet hat - nennen wir es in diesem Fall West-Berlin selbstverständlich auch in Paragraphen und Verwaltungsvorschriften definiert werden. Dafür, daß diese Richtlinien für Freud und Leid nicht völlig in Vergessenheit geraten, sorgen ganz besonders gern die sogenannten kleinen Männer von der Straße und die auf Amtsschemeln.

Michael Hartfelder, Kleingewerbetreibender im Wilmersdorfer Bildpostkartenwesen und Inhaber des „Last Minute Shop“ in der Lietzenburger Straße, hat in dieser Richtung beeindruckende Erfahrungen machen dürfen. So wurde er Anfang diese Monats von einem Passanten, der ihm in die Auslagen schaute, wegen zweier Nackt-Glückwunsch-Postkarten (Beispiel siehe Bild rechts) amerikanischer Provenienz angezeigt: Pornographisch sei das, meinte der Herr und ließ Polizei und Staatsanwaltschaft auf Hartfelder, seinen Shop, einen aufklappbaren Riesendschungelschwengel sowie einen kleineren, mit Schokosoße, Sahne und Maraschinokirsche verzierten Vierfarbdödel los. Die staatlichen Ermittler beschlagnahmten von jeder Kartensorte ein Exemplar und reichten die dargestellten „auffällig großen und teilerregten G.T.s (Geschlechtsteile)“, geeignet dazu, „empfindliche Betrachter“ zu gefährden, zwecks Begutachtung weiter.

Der abgehärtete beamtete Ankläger aber stellte kürzlich das Verfahren ein, es war „kein pornographischer Inhalt“ nach Paragraph 184 StGB festzustellen. Zwar war der Winkel mit 45 Grad hart an der Grenze, doch immerhin ein Großteil des G.T.s mit Schokosoße verdeckt. Insgesamt nach dem Strafgesetzbuchkommentar keine grobe Darstellung des Sexuellen, die in einer den Sexualtrieb aufstachelden Weise den Menschen zum bloßen auswechselbaren Objekt geschlechtlicher Begierde degradiert (auf über 45 Grad?). Außerdem hatte die Polizei herausgefunden, daß gegen den anzeigenden Passanten selbst wiederholt wegen des Verdachts auf Verstöße gegen 184 ermittelt worden war. Postkartenverkäufer Hartmann, froh über die Einstellung des Verfahrens, kann nur Vermutungen darüber anstellen, was den Passanten zu Anzeige trieb. Ein Konkurrent? „Schließlich habe ich unlängst die Exklusivrechte von 15 US -Postkartenfirmen für Gesamtdeutschland ergattert.“

kotte