Obsessionen eines Amerikanophilen

■ „Im Grunde meines Herzens bin ich Elektriker“, 22.15 Uhr, ZDF

Von Friedrich Frey

Das feinste Sensorium für die Amerikanismen innerhalb der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft entwickelte zweifellos Wim Wenders. Sein Frühwerk ist geradezu durchtränkt von Zeichen der „Kolonialisierung unseres Unterbewußtseins“ (Wenders). Ihm gelang damit ein filmisches Psychogramm der Generation, die nach dem Krieg den Verlockungen der amerikanischen Pop-Kultur bedingungslos ausgesetzt war.

Amerika in Deutschland - das ist auch das bestimmende Thema des Debütfilms von Thomas Nennstiel. Holger (Tobias Hoesel), ein flotter Endzwanziger, lebt in Berlin, und seine große Leidenschaft ist der „american way of life“. Bei einem Trip durch die USA hatte er Wendy (Babs Feltus) kennengelernt, und jetzt kommt die Amerikanerin deutscher Abstammung zum ersten Mal nach Europa. Ein Wiedersehen, das Holger nutzt, die Amerikanisierung seines Alltags noch weiter voranzutreiben. Unaufhörlich parliert er mit seinem Besuch Amerikanisch, obwohl Wendy der deutschen Sprache durchaus mächtig ist. Das gemeinsame Schlafzimmer hat der Amerikanophile der Inneneinrichtung des Motels nachempfunden, in dem das Paar die erste gemeinsame Nacht verbracht hat, und selbst der Fernseher empfängt nur amerikanische Sender.

Nennstiel und sein Ausstatter Adrian Ochse haben viel Mühe darauf verwandt, der spleenigen Obsession der Hauptrolle gerecht zu werden. Der Held kurvt stets im großräumigen Ami -Schlitten durch Berlin und der erwähnte Hotelzimmernachbau wirkt in seiner kalten Anonymität, als sei er nach einer Bildvorlage des amerikanischen Realisten Edward Hopper entstanden. Doch diese Kälte muß der Zuschauer erahnen, denn leider klebt die Kamera zu sehr an den Akteuren. Sie protokolliert die Dialoge, anstatt durch die Räume zu inszenieren. Dies ist um so erstaunlicher, wenn man weiß, daß niemand geringerer als Thomas Mauch für die Fotografie verantwortlich zeichnet.

Mauch, auch Produzent des Films, gehört zum Urgestein des Neuen Deutschen Films. Er stand bei den ersten filmischen Gehversuchen von Edgar Reitz hinter der Kamera, er fotografierte nicht nur die frühen Filme Alexander Kluges, er wurde vor allem berühmt wegen seiner Kameraarbeit für den Exzentriker Werner Herzog. Zu dessen Filmen mag man stehen, wie man will, unbestritten ist ihr kraftvoller bildorientierter Erzählstil. Tableaus, wie das riesige Feld mit Windmühlen aus Herzogs Film Lebenszeichen, gehören zu den eindrucksvollsten Ergebnissen der Mauchschen Kamerakunst. In Thomas Nennstiels Film jedoch scheint die Kamera ihren eigenen Bildern zu mißtrauen.

Das Paar am Sandstrand eines Berliner Sees. Aus ganz wenigen Elementen haben Nennstiel/Mauch ein wunderbares Bild zusammengefügt: Der Strand, ein knorriger, kleiner Baum, der aus dem Wasser ragt, die Frau im rosa Kleid, eine Bank, auf der Holger lagert, und der Straßenkreuzer, aus dessen Lautsprecher der Strauß-Walzer Wiener Blut tönt. Das Ganze in das milchige Licht eines beginnenden Tages getaucht. Die Kamera aber zerstückelt das Stilleben, unaufhörlich schwenkt sie mal hier-, mal dorthin, doch nie verweilt der Blick.

Mehr Zutrauen in die Qualität der eigenen Bildarrangements hätte dem Film gut getan und außerdem vielleicht abgelenkt von einigen Mängeln im Script. Zwar läßt sich Wendys Interesse für Europa mit ihren deutschen Wurzeln erklären oder auch mit der viel beschworenen Offenheit der Amerikaner, die die Rolle im TV-Spot ebenso verinnerlichen wie die des Käthchens aus Goethes Faust, doch warum Holger sich Amerika so verbunden fühlt, bleibt letztlich ungeklärt.

Der Film ist alles andere als das Psychogramm einer Generation, er beschreibt lediglich die durchaus liebeswerten Spinnereien eines einzelnen. Schade eigentlich, denn die Geschichte vom amerikanisierten Deutschland wäre es durchaus wert, nach Wenders und Co. um ein neues Kapitel erweitert zu werden.

Vielleicht gehört das „kolonialisierte“ Deutschland schon bald wieder der Vergangenheit an, und das Jahr 1990 ist das Jahr des Abschieds. Ein Abschied auch vom „großen Bruder“.