FUZZY LOGIK

VON MATHIAS BRÖCKERS

Jeder weiß, was ein Fuzzy ist; eher als Neck-Vokabel denn als saftiges Schimpfwort benutzen wir den Ausdruck, um komische, verspleente, irgendwie spinnerte Zeitgenossen zu bezeichnen. Was es aber mit einem „Laboratory for International Fuzzy Engineering“ (Life) auf sich haben soll, leuchtet nicht ohne weiteres ein - handelt es sich um ein Genlabor, das alsbald den Fuzzy en gros klonen will, hat sich die verpönte Minderheit der Ingenieur-Fuzzies zu einem Labor zusammengetan, soll das Image des Fuzzies als Lifestyle international geliftet werden???

Des Rätsels Lösung liegt in der Logik: in den sechziger Jahren hat das Fuzzytum in die klassischste aller klassischen Philosophien - die Logik - eingeschlichen, wo es sich seitdem um die Bewertung vager Aussagen bemüht, als „fuzzy logic“. „Faserig, fusselig, kraus unscharf, unbestimmt“ heißt es im Wörterbuch unter „fuzzy“ und so interessieren sich Informatiker wie der Fuzzy-Pionier Joseph Goguen (Oxford) auch nicht für das pure Entweder-Oder der Falsifikation, sondern für die krause, unscharfe, fusselige Wahrheit, das verhuschte Sowohl-Als-auch, die „fuzzy truth“.

Wo die klassische Logik mit dem berühmten Dogma „Tertium non datur“ außer Wahr (1) und Falsch (0) jedes Dritte ausschließt, liegen für die Fuzzy-Logik zwischen diesen beiden Absolutpunkten unendlich viele Möglichkeiten. Auf die Frage etwa, ob es sich bei einem Objekt mit den Maßen 10 mal 10 mal 10,1 Zentimeter um eine Würfel handelt, muß der strenge Logiker „Falsch“ (0) antworten, während der Fuzzy -Logist zu dem Ergebnis kommt: „das Ding sieht einem Würfel verdammt ähnlich“ (0,99) - und damit der Realität viel gerechter wird als der „klassische“ Kollege, der vor dem Ewigen Gerichtshof der Mathematik (Gott würfelt nicht mit gezinkten Würfeln!“) aber dann doch immer obsiegt.

Die Alltagstauglichkeit der Fuzzy-Logik und die Tatsache, daß sie dem Maß menschlicher Wahrnehmung viel eher entspricht als die absolute Logik, hat jetzt die Computerindustrie neugierig gemacht - vergangenes Frühjahr wurde in Japan das Life-Projekt gegründet, das praktische Anwendungen auf fuzzy-logischer Grundlage erarbeitet und auch schon einige verwirklicht hat. So entwickelte einer der Teilnehmer eine „fuzzy“ Aufzugsteuerung, bei der niemand zu lange warten muß - insgesamt geht es in diesem System mit mehreren Aufzügen dadurch zwar nicht schneller, aber die Frustrationszeit des Wartens auf den Lift wird verkürzt. Fuzzy-Steuerungen, so hat man erkannt, sind ideal für all jene Aufgaben, die mit menschlichem Fingerspitzengefühl erledigt werden müssen, wie etwa das Anfahren und Bremsen der völlig überfüllten Tokioter U-Bahn. Die Life-Ingenieure versuchen, dem bisher nur von menschlichen Spezialisten zu vollführenden, anstrengenden Kunststück mit Fuzzy-Logik beizukommen, weil jede analytische Rechenoperation wegen der Unzahl von Parametern hoffnungslos ist.

Wie aber läßt sich die praktische Fuzzy-Vielfalt in die Rechnerlogik integrieren, wo doch der Computer bekanntlich nur mit aus (0) und ein (1) hantieren kann, nicht aber mit einem fuzzyhaften jein (0,99)? Dieses dualistische Universum hat zwar den Vorteil, daß es mit seinen beiden Polen natürlich alles simulieren kann, auch ein jein - es ist nur eine Frage der Zeit.

Aber dort stößt auch die Fuzzy-Software irgendwann an dieselben Grenzen wie die analytische Rechnerei im U-Bahnhof - es sind der Daten und Wechselwirkungen einfach zu viele. Hier nun hat sich das Life-Institut etwas ganz besonderes einfallen lassen, wie die 'FAZ‘ unlängst berichtete: „Es sucht die theoretisch-mathematischen Schwierigkeiten teilweise einfach dadurch zu überwinden, daß es sogenannte 'schmutzige‘ Elektronik einbaut, um die Ungenauigkeitseffekte zu erzielen, die sich sonst wegen der Kompliziertheit der Systeme kaum oder gar nicht handhaben lassen.“

Man höre und staune: nach fünf Generationen Computern stellt sich heraus, daß die higheste Technik nur mit Junk -Chips funktioniert. Und daß es offenbar auch in der Makrowelt der Rechner - und nicht nur im atomaren Mikrokosmos - eine Unschärferelation gibt: erst wenn statt starrer Regeln lockere Wahrscheinlichkeiten das Geschehen regieren, können sensible Operationen überhaupt durchgeführt werden. Nur wo mit Halbwahrheiten gerechnet wird, entsprechen die Ergebnisse am Ende der Wahrheit - nicht einer abstrakt logischen, sondern der konkret menschengemäßen. Dabei ist keine lockere Schraube überflüssig, im Gegenteil, gerade auf sie kommt es an - die triumphale Wiederkehr der Chip-Junkies, die man doch eigentlich ausmerzen wollte, ist eine Pointe, deren Tragweite kaum absehbar ist... IMMER SCHÖN BEI DER HALBWAHRHEIT BLEIBEN!