Wofür bezahlt man schließlich seine Domestiken?

■ Die moderne Dienstbotengesellschaft: Frauen brauchen Frauen / Wie war es vor hundert Jahren? / Männer an die Hausarbeitsfront!

Von Christine Weber-Herfort

Pünktlich um neun steht Maria auf der Matte. In der Wohnküche Morgenchaos. Sie nimmt sich einen Kaffee aus der Warmhaltekanne und studiert den Zettel, der auf dem Tisch liegt: Aufräumen, Küche und Bad gründlich putzen, in den Kinderzimmern die scheußlichen Flecken auf den Teppichen beseitigen. Um 12.30 Uhr ist Maria ferig. Sie steckt die 50 Mark ein, die in einem Umschlag für sie bereitliegen. Wenn Elke, die Lehrerin eine halbe Stunde später kommt, geht ihr Blick prüfend durch die Wohnung. Maria, die Polin, hat ihr die Küche erspart, jetzt kann sie sich ihren Kindern widmen, die bald von der Schule nach Hause kommen.

Vera hat sich einen Arbeitsplatz geschaffen. Ihr Laden für modische Kinderbekleidung setzt sich langsam gegen die Konkurrenz durch. Vier mal in der Woche arbeitet Inge bei ihr. Die gemeinsame Basis sind 470 Mark und Prozente auf die Kinderkleidung, die Inge jetzt bei Vera kauft.

Wenn Hildegard anruft, daß sie ihren dreijährigen Tobias nicht pünktlich um 14 Uhr abholen kann, weil sie in der Werbeagentur unabkömmlich ist, ist Carola sauer. Ihr Tagesplan ist geplatzt. Abends hat Carola 18 Mark mehr verdient (sechs Mark für jede Stunde). Ohne Abzüge, dafür ist sie nicht versichert.

So ist das: Die einen haben das Netz, die anderen fallen durch die Maschen. Die einen haben den gutbezahlten Job und die anderen die Putzgelegenheit. Frauen helfen Frauen - auch so.

Wir leben in einer modernen Dienstbotengesellschaft und Ähnlichkeiten mit der Zeit vor hundert Jahren sind rein zufällig. „Ohne Dienstboten, keine Kultur!“, ruft Herr von Treitschke mit komischem Pathos entsetzt aus. Er kann sich die Gesellschaft so wenig ohne Dienstboten vorstellen wie Aristoteles sie sich ohne Sklaven vorstellen konnte, schrieb August Bebel 1883. Als Herr von Treitschke 1896 starb, war die Dienstbotengesellschaft in voller Blüte. Jeder gutbürgerliche Haushalt hatte seinen Dienstbotenstab. Aber auch das aufsteigende KleinbürgerInnentum brauchten die Dienstboten ganz dringend zur Abgrenzung nach unten hin zum gemeinen Proletariat.

Was heute die Safari nach Kenia ist, war damals das „Mädchen für alles“, das Alleinmädchen. Der Dienstbote war weiblich. Ein Nebenmädchen, das für die Reinigung der Wohnung und die Bedienung in besseren Häusern vorgesehen war. Ein Kindermädchen, eine Waschfrau, eine Scheuerfrau und eine Kochfrau, wenn es zur Köchin nicht reichte. Zu besonderen Anlässen mietete man einen Mann. Den Lohnkellner, der den Sekt ausschenken durfte. Ab und zu kam ein Parkettschleifer, der sich Bürsten unter die Fußsohlen schnallte. Nur ganz wenige, besonders vornehme Häuser, beschäftigten noch einen Diener oder einen Kutscher und später einen Chauffeur. Um 1900 zählte man in Deutschland 279.208 weibliche Dienstboten und 36.791 männliche.

„Mir pochte das Herz fürchterlich, wie wir die teppichbelegten Treppen hinaufstiegen. In diesem feinen Haus sollte ich dienen? Im Zimmer, in welches ich hinaufgeführt wurde, befanden sich drei Personen. Ein alter Herr, welcher ausgestreckt auf einem Sofa lag, eine alte, sehr korpulente Dame und eine junge Frau. Sie alle musterten mich mit kritischen Blicken. Der Herr, wie mir schien, mit eigentümlichem Lächeln auf den Lippen... Wir wurden uns einig. 55 Taler Lohn im Jahr und ein sehr gutes Weihnachten...“ So beschrieb Doris Viersbeck ihre Vorstellung in einem Hamburger Bürgerhaus im Jahre 1888. Sie war gerade 20 geworden und von Holstein nach Hamburg gekommen. Ihre Arbeitszeit betrug zwischen 14 und 16 Stunden. Auch nachts hatte sie keine Ruhe. Sie bekam den Auftrag, „jede Nacht um zwei dem gnädigen Herrn eine frische Tasse Kaffee zu kochen“. Und die Gnädigste kommentierte: „Wozu bezahlt man denn seine Domestiken?“

Das Gegenstück zum protzigen Interieur der ersten Gründerzeit war das bescheidene Dienstmädchen vom Lande. Es stellte keine Ansprüche, war Gehorsam gewohnt und unterwarf sich demütig der Gesindeordnung von 1841, in der es hieß: „Die beiden Rechtshälften gehen eine Übereinkunft ein, vermöge deren eine Person während einer zum Voraus bestimmten Zeit mit persönlicher Unterwürfigkeit gegen die Dienstherrschaft zur Verrichtung häuslicher und wirtschaftlicher Arbeiten und Dienste in ein Hauswesen aufgenommen wird, und dafür von der Herrschaft die Zusicherung einer Gegenleistung erhält. Die Höhe der Gegenleistung bestimmte die Herrschaft.“ Zwischen hundert und zweihundert Mark im Jahr waren das um die Jahrhundertwende - bei freier Kost und Logis.

„Das Zimmer ist feucht, meine Kleidung teilweise von Schimmel überzogen und riecht ganz modrig. Der Fußboden ist morsch, daß ich schon mit der Bettstelle eingebrochen bin. Das Wasser läuft an den Wänden herunter, aber die Dame sagt, es sei nicht feucht“, so klagte ein Dienstmädchen 1912. Immerhin: Sie hatte ein Zimmer und mußte nicht in einer Truhe in der Speisekammer schlafen, wie es auch vorkam. Andere wurden eingesperrt, wie der Brief einiger Dienstmädchen aus dem Jahre 1892 an die Hamburger Polizeibehörde zeigt: „Da wir schon fünf Wochen im Keller eingeschlossen sind, möchten wir die Behörde bitten, uns doch endlich zu befreien. Uns ist nicht um das Ausgehen zu tun, nur daß wir mal an die frische Luft können.“

Dienstboten aufgewacht! Das waren die Parolen der sozialdemokratischen Frauenbewegung, die unter der Führung von Louise Zietz (1865 bis 1922) die erste große Versammlung am 23. Oktober 1906 in Hamburg organisierte. Es kamen über tausend Frauen. Im November 1906 wurde der „Verein für Dienstmädchen, Wasch- und Scheuerfrauen für Hamburg, Altona und Umgebung“ mit 470 Mitgliedern gegründet. Der Zusammenschluß blieb schwach und die Hauptziele, Aufhebung der Dienstbotenverordnung und die rechtliche Gleichstellung der Dienstboten mit den Arbeitern, wurde erst in der Novemberrevolution von 1918 erreicht. In der sozialen Hierarchie standen die Dienstboten auch in der Weimarer Zeit nur wenig über den Bettlern und Hausierern.

Was ist aus den „Gnädigsten“ geworden, für die das Dienstmädchen vielfach ein Mittel zur sozialen Abgrenzung nach unten war und nicht selten auch ein Objekt ihrer Herrschaftsgelüste? Die Gnädigste nahm den - inzwischen durchrationalisierten - Haushalt selbst in die Hand. Und die Dienstmächen von einst sind heute Arbeiterinnen oder Friseusen - oder sie putzen wieder. Alle gemeinsam stöhnen sie unter der Doppelbelastung. Für die allerdings die Besserverdienenden eine Lösung gefunden haben: die Tagesmutter (eine Einrichtung, die verhindert, daß der Kampf um den Krippenplatz für jedes Kind sicher von nennenswertem Erfolg war), die Putzfrau fürs Grobe oder die Aushilfe im ungeschützten Arbeitsverhältnis.

Der Philosoph Andre Gorz beschreibt in seinem Buch Kritik der ökonomischen Vernunft einen Trend zur „modernen Dienstbotengesellschaft“, eine Spaltung der Gesellschaft in eine Arbeitselite auf der einen und alle möglichen mehr oder weniger aus dem geregelten Erwerbsleben ausgesonderten Gruppen auf der anderen Seite. „Beide Gruppen brauchen sich gegenseitig. Die Gutverdienenden bedürfen der schlecht und ungesichert entlohnten modernen Dienstboten, um sich auf diese Weise disponible Zeit für selbstbestimmte Freizeitaktivitäten oder berufliches Hyperengagement zu verschaffen.“ Allerdings, auch hier gibt es Unterschiede: Gut verdienende Frauen sind weit seltener als Männer. Und was Männer in selbstbestimmte Freizeitaktivitäten stecken, investieren Frauen, um der Doppelbelastung zu entgehen.

Aber es gibt ja nicht nur das „Netz-Werk“ zwischen der gut verdienenden Lehrerin und der schlecht bezahlten Tagesmutter. Häufig ist ja auch, daß beide schlecht verdienen und beide am Ende ihrer beruflichen Karriere auf Sozialhilfe angewiesen sind.

Wie bekämpft man die Dienstbotennot? Unter dieser Fragestellung schrieb die Sozialdemokratin Helene Brandenburg eine Vision nieder, die nach wie vor gilt: „Die unseren Mädchen als Schreckgespenst an die Wand gemalte Einschaltung männlicher Hausarbeiter kann nur zur Gesundung der häuslichen Arbeitsverhältnisse beitragen. Wir begrüßen sie aus vollem Herzen als Vorposten angepaßter Arbeitsteilung auf dem Weg zur gleichen Bewertung aller gesellschaftlich notwendiger Arbeiten.“

Literaturhinweise:

Maria Beimel-Matthias: Hamburger Dienstmädchen zu Kaisers Zeiten. In der Reihe „Geschichte - Schauplatz Hamburg“, Amt für Schule Hamburg.

Ingrid Neumann: Frauenleben und Frauenarbeit in Elmshorn seit 1880, Das Beispiel der Dienstmädchen, einzusehen in den Elmshorner Büchereien.

Andre Gorz: Kritik der ökonomischen Vernunft, Rotbuch Verlag, Berlin

In Träumen bin ich immer wach - das Leben des Dienstmädchens Sophia, Dietz Verlag

Doris Viersbeck, Erlebnisse eines Hamburger Dienstmädchens, München 1910