„Ich muß doch den Verursacher kriegen“

■ Reinhold Wutzke, Leiter des DDR-Amtes für Wettbewerbsschutz, über Preiswucher im Einzelhandel

INTERVIEW

taz: Sie weisen den Vorwurf zurück, das Amt für Wettbewerbsfragen habe in puncto Lebensmittelpreise nicht hart genug durchgegriffen. Warum?

Reinhold Wutzke: Die Verbraucherzentrale in West-Berlin stellt seit zwei Wochen fest, daß die Preise in der DDR im WTB-Bereich (Waren des täglich Bedarfs, Red) eindeutig unter den Durchschnittspreisen der Bundesrepublik liegen, und zwar flächendeckend. Zwar sind sie teuerer als Aldi, aber ansonsten eindeutig billiger. Für vergleichbare Produkte nehmen die Ketten in der DDR und in der BRD die gleichen Preise, aber daß das gesamte Preisniveau überhöht ist, ist eindeutig widerlegt worden. Ich kann nicht sagen, daß, weil das Lohnniveau niedriger ist, auch das Preisniveau niedriger sein muß - obwohl dies bedauerlich ist. Aber mit der Behauptung „Preismißbrauch“ kippt man Öl ins Feuer. In 98 Prozent der Fälle habe ich keine Chance, rechtsstaatlich einen Preismißbrauch festzustellen.

Da gab es doch sogar jenes Diätbrot, das im Preis verzehnfacht worden war...

Da läuft ein Verwaltungsverfahren. Da muß ich aber erst sehen, ob es am Produzenten oder am Handel liegt. Ich habe gerade den ersten Brief von einem Händler bekommen, der mir die Abgabepreise des Lieferers mitgeteilt hat. Da gehe ich gegen die Großbäckerei und den Handel vor. Oftmals genügt auch schon eine Drohung mit der Einleitung eines Verfahrens, damit sie mit einem Groschen zurückgehen, auch wenn ich den Groschen vor Gericht nicht durchkriegen würde.

Ihr Amt hat ja selbst bekanntgegeben, daß es bei bestimmten Waren des täglichen Bedarfs Preisunterschiede bis 80 Prozent gegeben hat.

Das stimmt nicht. Ich habe zwar Anfragen zu Preisunterschieden bis zu 200 Prozent, aber bei mir kann sich keiner beschweren, daß er im Mitropa-Kiosk am Sonntag für Schnaps das doppelte bezahlt als in der Kaufhalle in der Woche. Das ist kein Preisverstoß.

In der DDR-Presse sind erhebliche Preisunterschiede veröffentlicht worden.

Das sind Kontrollen, die die Presse selbst gemacht hat. Wir haben einige Fleischereien mit Verfahren belegt, denen dann unterschiedliche Abgabepreise der Fleischlieferbetriebe zugrundelagen. Bei denen wiederum haben ein paar Leute aus Unkenntnis gehandelt.

Gegen wen richten sich Ihre Maßnahmen jetzt?

Die Verwaltungsverfahren richten sich sowohl gegen Händler als auch gegen Betriebe. Ich muß ja den Verursacher kriegen. Ich schreibe die Händler an, bekomme die Abgabepreise der Lieferer, und schreibe dann die Lieferer an, damit sie mir ihre Kostenstruktur mitteilen.

Minol, die das auf dem Land äußerst wichtige Flüssiggas zum Kochen und Heizen liefern, ist das beste Beispiel. Da die Regierung meiner Empfehlung nicht gefolgt ist, die Festpreise auf Propanflüssiggas zu erhöhen, habe ich heute die Ehre, gegen 200 Einzelhändler Verwaltungsverfahrenn einzuleiten und sofortigen Vollzug zu verfügen, weil die das Geld immer noch verlangen. Die Bürgermeister rufen hier doch jeden Tag an.

Es ist der Eindruck entstandenn, daß Sie sich nicht an die Westunternehmen heranwagen, sondern sich zunächt an die heimischen Anbieter halten.

Es gibt keine Westunternehmen in diesem Sinne. Selbst bei Hofka - da ist Spar mit 20 Prozent beteiligt - wende ich mich an den Verursacher, und auch sonst wende ich mich immer an die DDR-Betriebe. Ob an einer gemeinsamen Gesellschaft auch ein Westunternehmen beteiligt ist, ist unerheblich.

Und ich habe die Verträge alle da. Da steht nirgendwo etwas von Ausschließlichkeit der Belieftung mit Westwaren. Dahinter steht vielmehr die reine Unterwürfigkeit und der Opportunismus der jetzt in der mittleren Handelsebene Tätigen gegenüber ihrem neuen Brötchengeber. Die biedern sich an und bestellen nur die Westware. Und: Bis zum heutigen Tage sind DDR-Betriebe nicht fähig, vernünftige Liefer- und Leistungsangebote zu machen. Wie der Milchhof Berlin: Erst wird er beschuldigt, nicht liefern zu können, und alle haben gedacht, er wird dementieren. Nein, er hat zugegeben, daß er nicht pünktlich liefern kann. Wie soll dann ein DDR-Produkt in den Laden kommen?

Selbst Bundeswirtschaftsminister Haussmann gab bekannt, er wisse, daß Verträge mit der Absicht des Machtmißbrauchs in Vorbereitung gewesen sind. Woher weiß er das?

Herr Haussmann sagt manches. Als wir mit seinen Leuten das Preisgesetz gemacht haben, hat er uns empfohlen, keine Höchstpreise festzulegen, sondern eine Mißbrauchskontrolle. Jetzt sagt er, es wäre zu überlegen, ob Höchstpreise die richtige Lösung sind. Warum macht er denn das?

Er ist Politiker.

Ja, genau. Aber ein hinreichender Verdacht besteht nicht deswegen, weil es Herr Haussmann sagt. Alle haben sie doch geklagt, es gebe die Ausschließlichkeitsbindung. Ich habe sie alle aufgefordert, alle, mir einen einzigen Beleg zu schicken, auch anonymn. Aber alle haben gepaßt, allesamt.

Läßt sich das so zusammenfassen, daß Sie Marktmißbrauch durch BRD-Unternehmen nicht festgestellt haben, solchen von DDR-Unternehmen aber wohl?

Ich habe weder Ausschließlichkeitsbindungen noch Preisbindungen von BRD-Lieferanten feststellen können. Hätte ich einen hinreichenden Verdacht, hätte ich mir eine Erlaubnis erwirkt.

Wo denn, wenn es in der DDR noch keine dafür zuständigen Kammern gibt?

Die Bezirksgerichte sind zuständig. Wenn ich zu dessen Chef gehe, dann muß der Gerichtspräsident eben einen Richter als zuständig benennen.

Wieviel Verfahren haben Sie eingeleitet?

Die Zahl kann ich nicht sagen. Allein bei den Tankstellen, die das Propangas verkaufen, sind es über 200. Ich könnte die 'Berliner Zeitung‘, die angeblich ständig Bescheid wissen, wo ein Verstoß ist, ja auch mal auffordern nachzuweisen, warum sie ihren Preis von 15 auf 50 Pfennig mehr als verdreifacht hat - jetzt, wo erhebliche Werbeeinnahmen da sind, die es durchaus ermöglichen, die früheren Subventionen für Papier auszugleichen. Eine Verdreifachung des Preises kann ich bei keinem Lebensmittel feststellen. Wenn ich die Dicke und das Niveau mit Tageszeitungen der BRD vergleiche, dann kann ich bei der 'Berliner Zeitung‘ diesen Fünfziger in keiner Weise wiederfinden, obwohl sie ständig über Preiswucher schreibt.

Die Preiskontrollen sind nur ein kleiner Teil Ihrer Zuständigkeit. Vor allem sind Sie für die Genehemigung von Unternehmenszusammenschlüssen zuständig. Wieviel Leute haben Sie im Amt für Wettbewerbsschutz?

Alle zusammen sind wir 55.

Sie haben sich auch öffentlich wiederholt beklagt, daß Sie von geplanten Fusionen zu spät erfahren - der Einmarsch der West-Konzerne im Energiebereich ist das bekannteste Beispiel. Glauben Sie, daß Ihr Geschäft einfacher wird, wenn Sie nach dem 2.12. die Amtsbezeichnung Bundeskartellamt im Briefkopf führen werden?

Nach den ersten vier Wochen und einigen Äußerungen von mir, die ich bewußt gemacht habe, ist schon jetzt bei den entsprechenden Stellen eingerastet, daß sie kein Ding mehr durchbekommen, wenn sie sich nicht bei melden.

Interview: Dietmar Bartz