Im Osten nichts Neues?

■ DDR-Energiepoker zur Stunde Null: Chancen der Tabula rasa werden nicht genutzt

Die Volkskammermehrheit hat aufgemuckt. Doch statt den gemeinsamen Übernahmeplänen der bundesdeutschen Energieriesen und ihrer willfährigen Partner im Ostberliner Umweltministerium wenigstens vorläufig einen Riegel vorzuschieben, wurde die falsche Tür weit aufgestoßen. Was ist denn damit gewonnen, wenn nun statt der drei Konzerne fünf oder sechs die Energiewirtschaft der DDR unter sich aufteilen? Vielleicht ist dem Kartellrecht genüge getan. An der energiepolitischen Strategie der Unternehmen, in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten zu besichtigen, wird das kaum etwas ändern: Die zielt auf Expansion der Energiemärkte und des Energieverbrauchs, nicht auf Begrenzung. Daran ändert alle von den Konzernmanagern und ihren politischen Freunden neuerdings eingestreute Energiesparrhetorik nichts. Ihnen geht es um die territoriale Ausweitung eines volkswirtschaftlich ineffizienten, ökologisch verheerenden und technisch überholten Energiesystems auf das Gebiet der DDR. Betriebswirtschaftlich ist das für die Westunternehmen so nützlich wie es volkswirtschaftlich für das Territorium der DDR schädlich ist. Die Chancen der energiewirtschaftlichen Stunde Null in der DDR droht ungenutzt zu verstreichen.

Die Einrichtung einer Enquete-Kommission zur Entwicklung eines Energiekonzepts für die DDR wäre ja vernünftig gewesen, wenn die Volkskammer die Regierung gleichzeitig auf ein Moratorium für die Übernahmepläne der Westkonzerne festgelegt hätte. Das ist nicht geschehen, und Karl-Hermann Steinberg wird nicht nur Umweltminister bleiben, sondern mit Verzögerung - auch den unter skandalösen Bedingungen ausgehandelten Vertrag mit kosmetischen Änderungen unterschreiben. Welche sanften oder harten Energiepfade sich die Enquete-Kommission unter diesen Umständen auch ausdenken mögen, nicht sie werden bestimmen, wohin die Reise geht. Die Abgeordneten hätten nur über die Grenze schauen müssen, um dies zu erkennen. Seit über zehn Jahren exerziert der Bundestag vor, was dabei herauskommt, wenn Parlamentarier in Enquete-Kommissionen Energieoptionen entwickeln, es aber versäumen, die unkontrollierte Macht der Konzerne per Gesetz zu knacken.

Immerhin, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Installation zahlreicher Stadtwerke mit der Perspektive einer dezentralen, ressourcen- und umweltschonenden Energieversorgung hat die Volkskammer mit einer entsprechenden Bestimmung im sogenannten Kommunalvermögensgesetz geschaffen - und damit den donnernden Protest des Bayernwerke-Chefs Jochen Holzer provoziert. Diese Option steht allerdings in harter Konkurrenz zu jener schnellen Mark für den Gemeindesäckl, die die Stromkonzerne den Städten und Gemeinden versprechen, wenn sie ihnen die Energieversorgung überlassen. Auch hier bieten die bundesdeutschen Verhältnisse reichlich Anschauungsmaterial.

Auch die Pläne der Stromkonzerne brauchen Zeit. Zeit, die zum Aufbau der Gegenbewegung genutzt werden kann. Wahrscheinlicher jedoch ist etwas anderes: die Kopie jenes unendlich zähen Ringens um kleinste Fortschritte auf dem Weg in eine ökologische Energiezukunft, die ätzende bundesrepublikanische Realität seit weit über einem Jahrzehnt.

Gerd Rosenkranz