Die Leukämie-Jongleure von Ellweiler

■ Erhöhte Blutkrebsrate um die strahlende Urananlage wird in zwei Gutachten höchst unterschiedlich interpretiert / Statistische „Ausreißer“ oder „signifikante Erhöhung“? / Mainzer Umweltminister gibt wider besseres Wissen Entwarnung

Mainz/Ellweiler (taz) - In Rheinland-Pfalz gibt es erneut Streit darüber, ob die Krebsrate bei Kindern in der Umgebung der skandalumwitterten Urananlage Ellweiler gegenüber Durchschnittswerten anderer Regionen erhöht ist. Während für den Mainzer Umweltminister Alfred Beth (CDU) nach der Vorlage eines von ihm in Auftrag gegebenen Gutachtens der Mainzer Uni alle Zweifel „voll ausgeräumt werden konnten“, sieht die Bremer Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake die immer wieder geäußerten Befürchtungen der Bevölkerung, es gebe auffällig viele krebskranke Kinder in der Gegend, „voll bestätigt“.

Das Gutachten des Mainzer „Instituts für medizinische Statistik und Dokumentation“ gibt Entwarnung: „Keine auffällig erhöhten Krebsraten bei Kindern“ gebe es in der Umgebung der Anlage, die seit Mai 1989 stilliegt, interpretiert der Chef der Untersuchung, Professor Jörg Michaelis, sein Datenmaterial. Bei Befragungen unter mehr als 400 Ärzten seien für den Zeitraum von 1989-1990 insgesamt 130 Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren mit Krebserkrankungen festgestellt worden. Das sei statistisch gesehen eine jährliche Erkrankungsrate von 13,6 bezogen auf 100.000 Kinder unter 15 Jahren. Der Bundesdurchschnitt liege bei 12,6.

Bei Kinderleukämie in einem Umkreis von fünf Kilometern um die Anlage, wo es - das streitet auch das Mainzer Ministerium nicht ab - so stark strahlt, wie an keinem zweiten Ort der Republik, fand Michaelis allerdings drei Fälle der äußerst seltenen Krankheit. Damit liege die jährliche Erkrankungsrate mit 16,1 deutlich höher als der Bundesdurchschnitt von 4,3 räumt Michaelis ein. Diese Zahl interpretiert er aber - ganz im Sinne des Auftraggebers als „im Bereich der statistischen Zufallsschwankungen liegend“ und als „Ausreißer“.

Die Bremer Physikerin, Professor Inge Schmitz-Feuerhake, die mit Kollegen gerade eine Studie über Leukämie in der Ellweiler-Gegend fertiggestellt hat, wirft dem Mainzer Kollegen hingegen vor, mit der Interpretation seiner Untersuchung ein „Gefälligkeitsgutachten“ für den wegen seiner laschen Haltung gegenüber den Verantwortlichen der Urananlage in Bedrängnis geratenen Umweltminister erstellt zu haben. Das Ergebnis beider Studien ist indes durchaus das gleiche, wie beide feststellen. Unterschiede ergeben sich erst in der Interpretation der Daten.

So fand das Bremer Team eine drei- bis vierfache Erhöhung bei Kinderleukämie, ebenso wie Michaelis. Für Schmitz -Feuerhake ist damit klar, „daß es in einem Fünf-Kilometer -Radius um die Anlage eine statistisch signifikante Erhöhung gibt, an der es nichts zu deuteln gibt“. Als „ungeheuer dreist“, so die Wissenschaftlerin gegenüber der taz, empfinde sie „die Präsentation der Mainzer Studie als Entwarnung“. Die BremerInnen haben in Sachen Leukämie zudem einen längeren Zeitraum als die Mainzer mit einbeziehen können und fühlen sich daher mit ihren Daten auch in Sachen statistischer Sicherheit im Vorteil.

Unterdessen spricht einiges dafür, daß der Mainzer Minister wider besseres Wissen in der vergangenen Woche der Mainzer Presse seine Entwarnung in die Blöcke diktiert hatte: Zu diesem Zeitpunkt hatte Beth das Ergebnis aus Bremen inklusive einer Bewertung, nach der die Krebsrate keineswegs „normal“ sei, schon auf dem Schreibtisch liegen. Davon erwähnte Beth bei seinem Auftritt in Ellweiler aber kein Wort. Beht brauchte dringend positive Schlagzeilen, um die von seinem Ministerium angeordnete umstrittene Zwangssanierung der strahlenden Abraumhalden als ausreichend verkaufen zu können.

Daß Beth an kritischen Stellungnahmen nicht sonderlich interessiert ist, hatte er bereits mehrfach bewiesen: Als der betroffene Kreis Birkenfeld im Frühjahr international renommierte Niedrigstrahlenexperten zu einem großen Kongreß in den Hunsrückkreis holte, sagte Beth mit der Begründung ab, viel Neues sei da ohnehin nicht zu erwarten.

Thomas Krumenacker