„Rushdie - der gottverdammte indische Bastard“

■ In Pakistan heißt der große Filmhit dieses Sommers „International Guerillas“ / Am Ende des Erfolgsthrillers erschlägt ein göttlicher Blitz Salman Rushdie

Imam Chomeini: „Rushdie-Hinrichtung ist religiöse Pflicht“, leuchtet die Parole überall auf den Wänden der pakistanischen Stadt Rawalpindi. Die Farbe wirkt bisweilen noch sehr frisch und ist sichtlich neueren Datums. Das Volk solle ja nicht glauben, daß die Strafe verjährbar sei.

Der Geist des vor einem Jahr verstorbenen Ayatollah Chomeini schwebt nach wie vor über den pakistanischen Städten. In den Basaren von Rawalpindi, Karatschi oder Peschawar ist sein Bild öfter zu sehen als das Konterfei von Frau Benazir Bhutto. Dafür sorgt die „Dschamaat Islami“ (Islamische Versammlung), die mächtige fundamentalistische Organisation von Pakistan. Die sunnitische Dschamaat war jahrelang die ideologische Stütze des Militärregimes von Zia ul Haq. Trotz der Regierung der laizistischen „People's Party“ von Benazir Bhutto übt „Dschamaat“ noch immer großen Einfluß sowohl auf das pakistanischen Militär wie auch auf den Geheimdienst aus. Längst vor der „Mord-Fetwa“ des Ayatollah Chomeini, dem religiösen Gutachten gegen den Autor der Satanischen Verse, organisierten die pakistanischen Fundamentalisten Anti-Rushdie-Demonstrationen, bei denen einige Menschen ums Leben kamen.

Für das vergossene Blut der Moslems wird nun in diesem Sommer mehrmals täglich Rache genommen: im Film. In grellen Farben verheißen die handgemalten Riesenplakate vor dem Kino dem Jungvolk blutige Vergnügen. In glühender Mittagssonne wartet eine Schar junger Männer auf den Beginn der Vorstellung. „International Guerillas“ heißt der bunte Streifen. Er läuft seit Wochen in Rawalpindi wie in den anderen pakistanischen Großstädten. Ein Publikumshit also.

„Worum geht es in dem Film?“ „Um den verdammten indischen Bastard“, antwortete kurz angebunden ein finster blickender junger Mann. Der „indische Bastard“ heißt Salman Rushdie. Im Film trägt er seidene Anzüge, trinkt umgeben von leicht gewandeten Blondinen unentwegt Whisky und schmeißt freigiebigst mit Hundert-Dollar-Scheinen um sich. Rushdie steht also für all das, was die armen Pakistani hassen, weil sie es sich im geheimen wünschen, ohne es aber jemals erreichen zu können. Buh-Rufe ertönen im Kino-Saal, wenn Rushdie - klein, schmächtig und mit Hornbrille - auf der Leinwand erscheint. Applaus brandet auf, wenn die Rushdie -Gegenspieler, drei muskelbepackte pakistanische Brüder, ein Rambo-Trio des indischen Subkontinents, in Aktion treten. Wenn am Ende des Films Gottes Zorn in Gestalt eines Blitzes den dreisten Apostaten erschlägt, kennt die fromme Begeisterung keine Grenze mehr. „Sehen Sie meine Hände“, sagt ein älterer Mann. „Sie haben kein Gefühl mehr. Ich habe eine Viertelstunde lang geklatscht.“ Dreimal habe er den Film gesehen, meint der Alte, das erste Mal alleine, dann mit seinen beiden Söhnen und zuletzt mit Freunden.

„Die Leute gehen in den Film“, sagt Hodschatul-Islam Nadschafi, ein pakistanischer schiitischer Mullah, der in Ghom, der Hochburg der schiitischen Gelehrsamkeit, studierte, „weniger um Rushdie zu sehen, als sich an halbnackten Frauen zu ergötzen.“ Das hatte Imam Chomeini nicht gewollt. Für Nadschafi ist Ajatollah Chomeini ein Marja, „religiöses Vorbild“. Doch von den islamistischen Eskapaden in Teheran, Rawalpindi oder woanders hält er nicht viel. „Solche Dinge wie eine Fetwa des Imams bringen leider die ganze schiitische Gemeinschaft in Verruf. Der islamitische Geist ist tolerant und verzeihend. Lesen sie bitte Hafez, Maulana oder Mohamad Eqbal.“

Für seinen Teil übt sich Nadschafi, der mystisch angehauchte Verse schreibt, in islamischer Toleranz. In seinem großen Haus am Rande Rawalpindis halten gelegentlich „Qalandari“, die hedonistischen Wanderderwische, ihre „Halqa“, ihre rituelle Runde. Hier besingen sie in der Sufi -Ekstase und freilich auch im Haschisch-Rausch die Liebe, den Wein, schöne Knaben und alle sonstigen Gottesgaben auf dieser Welt. „Gott hat viel zu viel zu tun“, sagt Nadschafi zum Abschied über den Rushdie-Film, als daß er gegen einen kleinen verirrten Inder Blitze schleudert. Das machen für gutes Geld die Filmproduzenten.

Ahmad Taheri