Dokument einer Scheinwelt

■ Als Joint Venture: Neues Rostock-Buch mit Glanzpoliturfotos, menschenleer

Ein schöner Band. Großformati ge Fotos, schmale, luftig gesetzte Texte auf tiefglänzendem Papier. Rostock, eine Stadt aus historischen Türmen, Toren, Mauern, gut erhaltenen, restaurierten Giebeln von Backsteingotik bis Neoklassik, Universität und goldglänzendem Ständehaus, idyllisch geschlossener Stadtfassade am blauenblauen Ufer der Warnow.

Eine Stadt aus historischer Architektur, allenfalls ergänzt durch den gelungenen Plattenbaudes gotisch-modernen Fünfgiebelhauses an der Kröpeliner Straße, kaum gestört durch Menschen, schon gar nicht durch alte, ärmliche, mißmutige oder besoffene. Wenn schon, dann aleteglückliche Kinder am „Brunnen der Lebensfreude.“

Es gibt Ausnahmen. Eine da

von haben wir zum Abdruck ausgesucht, Lichtenhagen, eine der Plattenbauvorstädte, in denen die große Mehrheit der RostockerInnen wohnt. Eine weitere Ausnahme ist die Groteske des ehemaligen eleganten Kaufhauses Wertheim an der Kröpeliner Straße: über dessen verfleckt-vergilbender Brandmauer wirbt eine kaputte Leuchtschrift für „korrekt“, die heruntergekommen-gehobene Herrenbekleidungsstätte des Realsozialismus.

Aber insgesamt gilt: Die Fotografien, die der Bremer Partnerfotograf zu dem Band beigesteuert hat, sind in Auswahl, Kodakstrahlkolorit und Lichttechnik so schönend, so denkmals- und vorzeigeobjektorientiert, daß es hart an dokumentarisch fundierte Lüge grenzt.

Der Band sieht wie ein Ei dem

andern dem Bremenband ähnlich, den der gleiche Herausgeber, das Presse- und Informationsamt der Freien Hansestadt Bremen, herausgegeben hat. Gemeinsam ist der hehr -heraldische approach, nur die Realität, die ist verschieden: in Bremen weist sie eben keine omnipräsenten Braunkohleheizschornsteine auf, verfallende Altstadt, fehlende Öffentlichkeit, verfallende Theater und weniger ärmliche Menschen. Die Trostlosigkeit der Neuen Heimaten wäre einen Vergleich wert, den dieser Band unmöglich macht. Wg. Fast-Nichtbefassung.

Das Buch ist ein Bremen-Rostocker Joint Venture von 1990. Als Mitherausgeber firmieren der Bremer Schünemann-Verlag und der Rostocker Hinstorff-Verlag, und die Texte zu den Fotografien des Bremer Fotografen schrieb der Rostocker Sprachlehrer und Freizeit-Stadthistoriker Helmut Aude. Der macht zwar in den Texten ein bißchen was gut, erwähnt das „Monstrum von Rathausanbau“ auch das heruntergekommene Altstadtviertel, bleibt aber insgesamt sehr vorsichtig.

Aude interessiert sich auch augenscheinlich für die gute, auf jeden Fall die alte Zeit der Hansestadt und wirkt schon durch diese Gewichtung befriedlich desorientierend.

In seinem Lieblingsgebiet schreibt er gut und informativ, wenn auch im Stil ja manchmal 'n bißchen stark phallisch. Zu den vier Hansakirchen, die die Stadtsilhouette bestimmen, schreibt er: „Viermal reckt es sich zum Himmel empor, in erdgebunden schwerer, aber inbrünstiger Sehnsucht; viermal stößt es aber auch vor gegen die See...“

Von den nationalsozialistischen Jahren werden knapp die Heinkel-Flugzeugwerke erwähnt und die Bombenzerstörungen der „mondscheinhellen Nächte“ von 1942. Der Sozialismus existiert so gut wie überhaupt nicht, von der Herbstrevolution '89 immerhin der Hinweis, daß die Donnerstagsdemos bei der Marienkirche begannen. Ein zu schönes Buch.

Uta Stolle

Rostock. Bilder und Texte über Bremens Partnerstadt. Hinstorff Verlag, 39,50 DM.