Scherf gegen Wedemeier: Krach um Jugendliche

■ Bildungssenator pfuscht Arbeitssenator ins Handwerk / Jugendliche ohne Lehrstelle sollen weiter Schulbank drücken

Auf dem Unterbezirks-Parteitag der SPD im Bremer Osten ließ Bürgermeister Klaus Wedemeier vor 14 Tagen seinem Zorn freien Lauf: „Die Jugendlichen, die er da ausbilden will, die kann er sich vorher von der Polizei einfangen lassen,“ verkündete Wedemeier ungehalten vom Rednerpult des Bürgerhauses Vahr herunter. Mit „er“ gemeint: Henning Scherf. - Es gibt Krach zwischen Bremens beiden Bürgermeistern. Krach, insoweit beide Bürgermeister gleichzeitig Senatoren mit eigenen Fachressorts sind. Der Grund: Ab 1. August will Bildungssenator Henning Scherf dem werten Kollegen vom Arbeitsressort, Wedemeier, kräftig ins menschenbildnerische Handwerk pfuschen.

Anlaß des Streits: Nach gründlicher, langfristig angelegter Planung ist die Bildungsbehörde jetzt zu einem Resultat gekommen, was sich mit Jugendlichen anstellen läßt, die gerade aus der Schule gekommen sind und keinen Ausbildungsplatz finden. Konzept der Bildungsplaner: Am besten drücken sie weiter die Schulbank. Insgesamt 23 neue Klassen will die Bildungsbehörde im nächsten Schuljahr an allen Bremer Berufsschulen einrichten. In insgesamt zweijährigen Vollzeit-Lehrgängen sollen rund 400 SchülerInnen herausbekommen, welches Berufsfeld ihn am meisten liegt, ihre

Allgemeinbildung verbessern und erste Einblicke in die Fachtheorie ihres Berufs kriegen. Wer am Ende der Ausbildung mit der Amtsbezeichnung „H/BFS“ (Hauptschule/Berufsfachschule) immer noch keinen Ausbildungsplatz ergattert, soll zu einer Berufsfachschule wechseln können, um dort nach weiteren 2 1/2 Jahren einen anerkannten Berufsabschluß - z.B. als pharmzeutisch -technische AssistentIn oder als AssistentIn für Datenverarbeitung - zu erwerben.

Lernen statt Rumhängen

Die Klassen sind bereiteingeteilt. Nach den Sommerferien soll's losgehen. Programm der ersten Unterrichtswochen: Erkundungen in verschiedenen Lehrwerkstätten von Bremer Berufsschulen, vier Wochen gewerblich-technischer Bereich, vier Wochen kaufmännischer Bereich, vier Wochen hauswirtschaftlicher Bereich. Wie's dann weitergehen soll, steht im „vorläufigen Unterrichtsrahmen für jahrgangsübergreifende Klassen H 10“. Die Lehrpläne, so der zuständige Oberschulrat Christian Hannig, „gehen den Kollegen in diesen Tagen zu“.

Ingrid Buck, Oberregierungsrätin und zuständige Planerin des neuen Ausbildungsganges: „Wir wollen Jugendlichen, die bislang zwei Mal in der Woche oder weni

ger gelangweilt ihre Berufsschulpflicht abgesessen haben, damit die Chance auf eine vernünftige Ausbildung - auch außerhalb des dualen Systems - geben.“

Catcher gesucht

Ob das bei schulgefrusteten Null-Bock-Jugendlichen ausgerechnet mit Schule geht, daran hat nicht nur Bremens Bürgermeister und Arbeitssenator Klaus Wedemeier

erhebliche Zweifel. „Wenn Scherf für sein neues Projekt schon keinen einzigen zusätzlichen Lehrer einstellt wenigstens ein paar Catcher müßte er schon in den öffentlichen Dienst übernehmen, denn freiwillig geht da keiner hin“, weiß der Bremer Berufsschullehrer Helmut Zachau aus längjähriger Erfahrung mit schulmüden Jugendlichen. Auch beim Bremer „Verbund ge

gen Jugendberufsnot“ überwiegt Skepsis. Mitarbeiterin Katja Barloschky: „Nach neun oder zehn Jahren Penne haben die Jugendlichen einfach keinen Bock mehr auf Pauker. Die werden einfach nicht hingehen.“

Das allein wäre für noch gar nicht so schlimm. Schlimmer, so Barloschky, wäre ein zweiter Effekt des Scherf Projekts: Eine Vielzahl von freien Trägern und Ausbildungsprojekten, die in den letzten entstanden sind und sich um jugendliche Arbeitslose gekümmert haben, wäre plötzlich arbeitslos. Das Landesarbeitsamt, das die entsprechenden Lehrgänge bislang finanziert und die Jugendlichen mit ABM-Verträgen geködert hat, hat bereits seinen Rückzug aus der Weiterbildung schulpflichtiger Jugendlicher angekündigt. Statt Kohle vom Arbeitsamt würden die Jugendlichen dann entweder gar nichts oder Bafög bekommen.

Allerdings: Gefragt werden sollen die Jugendlichen sowieso nicht. Sie sollen müssen. Rechtliche Handhabe der Behörde, um die Jugendlichen notfalls zu ihrem Ausbildungsglück zu zwingen: Die im letzten Jahr per Bürgerschaftsbeschluß neugeregelte Schulpflicht in Bremen. Danach müssen Jugendliche, die nach der Hauptschule nicht direkt einen betrieblichen Ausbildungsplatz finden, zwei weitere Full -time

Schuljahre absitzen.

Was sie damals beschlossen, hatte die Mehrheit der Abgeordneten offensichtlich selbst nicht ganz begriffen. Und auch das inzwischen fünf Jahre alte sogenannte „Pädagogisch -inhaltliche Konzept“, in dem die Bildungsbehörde bereits ihren heutigen Beitrag zur Berufsausbildung von Jugendlichen ankündigte hatte, haben inzwischen die Mitglieder des Senats vergessen. Klaus Wedemeiers Senatsdirektor im Arbeitsressort, Manfred Weichsel: „Wer kennt schon alle Rahmenprogramme, die der Senat irgendwann mal beschlossen hat. Konkret haben wir erst vor vier Monaten erfahren, was sich da im Haus des Bildungsssenators tut.“

Für Anfang August haben die beiden Bürgermeister jetzt ein persönliches Kompromiß-Gespräch vereinbart. Die Position des Arbeitssenators ist klar. Wedemeier-Stellvertreter Weichsel: „Schule darf nicht der Königsweg zur Berufsausbildung werden. Arbeitslose Jugendliche müssen auch in Zukunft Alternativen angeboten werden. Und schon gar nicht kann angehen, daß die Schulpflicht mit der Polizei durchgesetzt wird.“

Den Genossen im Bremer Osten kündigte Wedemeier neulich an: „Ich werd‘ mal ein ernstes Wort mit Henning reden müssen“.

K.S.